HebeBühne - der Theater Blog - Kinder der Sonne im Häuservergleich. Gläser, Rauch und Pathos!
von Michael Jetter
In der einschlägigen Weinszene
werden Weine gerne einmal in verschiedenen Gläsern seziert und im Anschluss
daran können leidenschaftliche Diskussionen darüber entstehen, welches Glas denn
nun dem Wein zu seiner wahren Größe verholfen hat. Für einen Außenstehenden
müssen diese Diskussionen wenigstens befremdlich wirken, geht es doch beim
Weingenuss in erster Linie um Kommunikation, um die Freude am Genuss, auch um
den Rausch und darum am Ende eines Tages final loslassen zu können.
„Rund 20 Prozent
des Weingenusses hängen mit dem richtigen Glas zusammen.“ Zitat Jancis Robinson, britische Weinexpertin
Den Weingläser Vergleich als
Vorbild, habe ich in zeitlich kurzen Abständen an zwei verschiedenen und
relevanten deutschen Bühnen „Kinder der Sonne“ von Maxim Gorki gesehen und mich
für die unterschiedlichen Interpretationsversuche beider Regie-Konzepte
interessiert.
Atmosphärisch könnten die
beiden Häuser nicht unterschiedlicher sein, ist das Maxim Gorki Theater seit Beginn
dieser Spielzeit doch in den Händen der türkischstämmigen Sermin Langhoff und
unternimmt den mehr als wichtigen Versuch, an einer subventionierten Berliner
Bühne ein interkulturelles Theater zu etablieren. Elf der sechzehn zum festen
Ensemble zählende Schauspieler besitzen einen Migrationshintergrund. Die
finanziellen Mittel sind eindeutig beschränkt, aber das hat das Maxim Gorki
Theater noch nie daran gehindert aufregendes Theater zu machen. Es sei an
dieser Stelle an die teilweise sehr spannende Vor-Intendanz von Armin Petras
(Fritz Kater) erinnert.
In Frankfurt/Main wird das
Schauspielhaus seit knapp fünf Jahren vom gleichzeitig auch als Regisseur
arbeitendem Intendanten Oliver Reese erfolgreich geführt. In Hessen verfügt man
als Finanzmetropole naturgemäß über die finanziellen Mittel, auch durch potente
Sponsoren, um ein erstklassiges Ensemble unterhalten und pflegen zu können.
In der aktuellen Spielzeit
wird „Kinder der Sonne“ am Maxim Gorki, unter der Regie vom an deutschen Sprechtheatern
sehr gefragten Nachwuchsregisseur Nurkan
Erpulat, in Szene gesetzt, während in meiner Heimatstadt Frankfurt/Main, das
1905 geschriebene Stück, nach der Erkrankung von Andrea Moses, von Oliver Resse
übernommen und ausgerichtet wurde.
„Kinder der Sonne“ ist ein
zeitloses und tragikomisches Stück über eine Clique um den Wissenschaftler
Protassow. Eine Mittelklassengesellschaft, die gefangen ist in ihren Befindlichkeiten
und Sehnsüchten, zum Scheitern verurteilt, aber auch ignorant genug, um die
revolutionäre Stimmung im gemeinen Volk komplett ausblenden zu können. Einem Tschechow
Stück nicht unähnlich, verliebt man sich hier zwingend unglücklich, hadert mit
seinem Schicksal, blendet jenseits des beruflichen Antriebs alles andere
komplett aus, wirft sich dem Erstbesten an den Hals und zelebriert seinen
Selbstekel und Weltschmerz bis hin zum Selbstmord durch Erhängen.
„Man streitet ja
meistens nicht zu dem Zweck, die Wahrheit zu finden, sondern um sie zu
verbergen“ Zitat Maxim Gorki
„Kinder der Sonne“ ist das Thema eines vorrevolutionären
Klimas, das sich 1905 im Jahr der Niederschrift Gorkis in Russland schon
andeutete, und wenige Jahre später mit der Oktoberrevolution Realität wurde.
Am Maxim Gorki Theater wird dieses Stück recht laut, in
hohem Tempo, intensiv und zum Teil auch sehr clownesk überzeichnet und
körperlich interpretiert. Der Schwerpunkt der Inszenierung liegt in der
unmittelbaren Konfrontation des verarmten und von einer Cholera-Epidemie
dahingerafften Volkes mit dem Wissenschaftler Protassow (Thomas Wodianka) und
seinem sozialem Umfeld.
Armut, Wut, Verzweiflung,
Niedertracht, Hilflosigkeit und Brutalität der Arbeiterklasse werden u.a. durch
den Schlosser Jagor (Falilou Seck) spürbar, irgendwie auch verständlich, und
fordern die auch heute sehr aktuelle Frage heraus, ob sich gesellschaftliche
Hierarchien auflösen lassen, die Mittelklasse überhaupt bereit dazu ist, oder
ob wenigstens eine Durchlässigkeit möglich erscheint.
Sehr plakativ werden
Bühnenarbeiter durch die ganze Inszenierung in Szene gesetzt, sie halten an
Seilen die Kronleuchter an der Decke, tragen einen Tisch auf dem sich Jelena
(Sesede Terziyan),die Frau des Professors, monologisierend räkelt und
unterbrechen eben diesen Monolog, in dem sie den Tisch absetzen und sich für
gefühlte 10 Minuten an den Bühnenrand begeben und sich ihrer verdienten
Brotzeit widmen. Das Spiel steht still. Die Botschaft könnte nicht deutlicher
sein, ohne uns gibt es kein Theater und Euer Leben ist in dieser Form ohne
unsere Arbeit nicht vorstellbar.
Am Schauspielhaus
Frankfurt/Main, im großen Haus, unternimmt Regisseur Reese den Versuch, Gorkis
Figuren näher auf den Grund zu gehen und die Charaktere intensiv auszuleuchten.
Die Auseinandersetzung zwischen der Arbeiterklasse und den sogenannten
Leistungsträgern einer Gesellschaft, wird auch hier thematisiert, steht aber in
keinster weise im Fokus dieser Inszenierung.
Es ist eher der Versuch einer Erklärung, oder wenigstens
Bewusstmachung, warum sich Menschen selbst im Weg stehen, welche persönliche
Geschichte ihr Verhalten prägt und warum sich ihr Scheitern zwangsläufig
ergeben muss, es ist ein durch und durch bürgerliches Theater.
Am deutlichsten wird dieser
eher psychologische Ansatz in der Figur von Protassows Schwester Lisa, gegeben
von der wunderbaren Verena Bukal. Lisa ist eine kränkelnde junge Frau, die sich
zu dem zynisch/traurigen Tierarzt Boris (Helmut Kraushaar) hingezogen fühlt,
seine Liebe aber nicht umfassend erwidern kann, da sie eine gesellschaftliche
Liebe, also eine Liebe in größerem gesellschaftlichen Zusammenhang herbeisehnt
und somit der Utopie einer universalen Liebe Folge leistet.
Ernüchtert und unendlich
traurig wendet sich Boris ab und kündigt verklausuliert seinen Selbstmord an.
Lisa erfährt von seinem Freitod und wird von diesem Moment an nicht mehr sie
selbst sein. Schon immer nervös und emotional angegriffen, entwickelt Verena
Bukal mit ihrer Lisa über lange Minuten einen Verzweiflungs- und
Traurigkeitstanz um Ihren Boris, wie ich es noch selten in dieser Intensität
gesehen habe.
Am Schluss sitzt sie hilflos
an einer Zigarette saugend und barfuß am Bühnenrand und mit dem Herablassen des
Bühnenvorhangs, scheint auch das Leben dieser sentimentalen und hilflosen Figur
ausgelöscht und beendet zu sein.
Ich möchte nicht verhehlen,
dass mir der Berliner Abend persönlich durchaus näher war, und dass ich die
Atmosphäre im Gorki Theater liebe, insbesondere auch die rustikale und
kommunikative Kantine (die Buletten sind erstklassig) mit dem angrenzenden und nicht weniger gesprächsfördernden
Raucherraum.
Es ist auch sicherlich so,
dass sich das Gorki Theater unmittelbarer an das Publikum wendet und sich
dieser Anspruch in der Spielatmosphäre auf der Bühne naturgemäß widerspiegeln
muss. In Schauspiel Frankfurt sieht man phantastische und zum Teil schon
ausgereifte Schauspieler, den Versuch einer Offenlegung und Sichtbarmachung von
menschlichen Charakteren und weniger ein politisch prononciertes Theater. Aber
gegeneinander Ausspielen werde ich diese beiden großartigen Häuser an dieser
Stelle ganz sicher nicht, beide sind wichtig für die deutschsprachige
Bühnenlandschaft und vor allen Dingen unbedingt Ihren Besuch wert, sehr
verehrter Leser der HebeBühne.
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