HebeBühne - der Theater Blog - Im Gespräch mit Guido Gallmann
Anlässlich der Premiere am 27.02.2014 von "Kleiner Mann - Was Nun“ von Hans Fallada in der Regie von Klaus Schumacher am Theater Bremen, lässt es sich der Feuilleton Chef der La Gazzetta del Vino, Michael Jetter, nicht nehmen, den renommierten Schauspieler Guido Gallmann zum Gespräch zu laden. Dieser nimmt dankenswerter Weise an, denn die Premierenvorbereitungen befinden sich im vollen Gange und die Zeit ist rar. Und so erleben wir ein bereichernden Gesprächspartner über die Entwicklung des Theater Bremens, Klaus Pierwoß, die Freiheit der Rolle, Thomas Bernhard, Bremen und die anstehende Premiere. Aber lesen Sie selbst...
Guido, Du bist seit der Spielzeit 2001/2002 festes Ensemblemitglied, ja
auch Publikumsliebling, am Theater Bremen. Ich erinnere mich noch sehr gut und
sehr gerne an die Inszenierung „Baumeister Solness“ von Henrik Ibsen in Deiner
ersten Bremer Spielzeit. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein großes
Vergnügen gewesen sein muss, mit so großartigen Kollegen wie Detlev Greisner,
Jördis Triebel und Gabriele Möller-Lukasz diesen Abend in der Rolle des Ragnar
Brovik zu bestreiten!?
Ja, dem war wirklich so! Ich
habe die Arbeit und die Probenzeit in bester Erinnerung, weil sie so heiter und
gelassen war. Die Inszenierung von Andreas v. Studnitz setzte, so meine ich,
auf Direktheit, Echtheit, Glaubwürdigkeit und Natürlichkeit, und das brachten
die obengenannten Kolleginnen und Kollegen plus Katja Zinsmeister, Andreas
Herrmann und Wolfram Grüsser „einfach so mit“. Bei einer Vorstellung war ich
übrigens mal sehr „echt und natürlich“ außer Atem...ich saß im Aufenthaltsraum
und hatte durch eine angeregte Plauderei meinen Einruf überhört. Irgendwann
hatte ich ein komisches Gefühl und drehte die Mithöranlage lauter...und hörte
mein Stichwort! Ich glaube, so schnell war ich nie wieder auf der Bühne (unser
Inspizient hatte mir noch ein großes Requisit zugeworfen), und dort sah ich
dann in die leicht geweiteten Augen von Detlev, der hörbar ausatmete. Nachher
aber kein böses Wort, eher Schmunzeln und der Satz: “Das passiert jedem mal.“
Mir war es insofern eine Lehre, dass ich seitdem eine Vorstellung immer laut
mithöre.
Welche Rolle spielte eigentlich der Intendant Klaus Pierwoß (1994-2007)
für Dich und Deine Entwicklung am Theater Bremen? Er war es ja, der Dich 2001
aus Münster in die Hansestadt geholt hat. Musste er Dich zu diesem Schritt
überreden, oder warst Du sofort Feuer und Flamme für dieses Engagement, das ja
mittlerweile ins dreizehnte Jahr geht. Welche Argumente haben letztlich für
Dich die entscheidende Rolle gespielt.
Nein, Klaus Pierwoß musste
mich wirklich nicht überreden! Die entscheidende Rolle spielte (klingt
vielleicht kitschig, ist aber so) die Liebe. Ich war also schon drei Jahre vor
meinem Engagement regelmäßig in Bremen und im Theater. Hatte z.B. wie Du „Engel
in Amerika“ gesehen. Und „Sucking Dublin“. Und
Konstanze-Lauterbach-Inszenierungen. Und und und...ich sollte nichts
rauspicken, da tue ich vielen anderen tollen Abenden Unrecht, die ich nicht
erwähne! Jedenfalls habe ich mich beworben mit dem Gedanken: „Ich muss es
versuchen, klappt eh nicht, wäre zu schön, um wahr zu sein.“ Dann ging
überraschend ein Kollege weg, es gab Vorsprechen, ich bekam eine Einladung
(Schock), und hatte dann das große Glück, engagiert zu werden. Dafür bin ich
Klaus Pierwoß immer dankbar, und in der Folge für wunderbare Rollen, die er mir
zugetraut hat.
Foto Jörg Landsberg |
Ich finde, „absurd“ trifft es.
Und Detlev und Sebastian vermisse ich sehr und bin bestimmt nicht der Einzige.
Es fehlt ein großer wichtiger Teil unser aller Leben auf der Bühne. Unsere
Gesellschaft, wir Menschen werden immer älter und können das im Theater nicht
mehr erfahren und erleben? Es ist schade,
schade, schade! Du schreibst „finanzielle Überlegungen“, ich denke, es sind
„finanzielle Daumenschrauben“. Das kennen wohl leider fast alle Menschen
inzwischen in ihrer Arbeitswelt. Ich sehe es als kleinen Hoffnungsschimmer,
dass teilweise wieder ältere Arbeitnehmer eingestellt werden, weil ihre
Erfahrung eben nicht zu ersetzen ist.
Ich habe nach dem Abgang von Pierwoß ein wenig den Kontakt zum Theater
Bremen verloren. Die kurze Intendanz von Hans Jochim Frey hat dabei eine nicht
unwesentliche Rolle gespielt. Meiner Einschätzung nach wurde in diesen drei
Jahren das Sprechtheater auf sträfliche Art und Weise vernachlässig, um sich
lieber mit sogenannten Kultur-Events wie „Der fliegende Holländer“ und dem
Musical „Marie Antoinette“ beschäftigt. Mich würde an dieser Stelle
interessieren, wie Du diese drei Jahre als Schauspieler erlebt und empfunden
hast?
Dein komödiantisches Talent ist tatsächlich unbestritten. Ich erinnere
mich an dieser Stelle zum Beispiel mit kindlicher Freude an die musikalischen
Abende „Familienschlager“ und „Singen für Deutschland“ von Erik Gedeon. Gab es
in Deiner Karriere auch Momente, in denen Du Dich auf dieses wunderbare Talent
festgelegt gefühlt hast, oder wurdest Du von Anfang an umfassend besetzt und
somit in Deinen ganzen schauspielerischen Möglichkeiten erkannt?
Erstmal danke ich Dir für
diese sehr freundlichen Worte. Bei dieser Antwort fasse ich mich kurz: Letzteres!
Also (falls es einer liest) Dank und Grüße an meine Ex-Intendanten Dietrich von
Oertzen, Heiner Bruns und Thomas Bockelmann!
Welcher Regie-Stil kommt Deiner Berufsauffassung eigentlich am
nächsten? Ich kann mir gut vorstellen, dass man sich als Schauspieler einen
kooperativen Stil wünscht, der einem Akteur einen gewissen Freiraum in der
Rollenfindung ermöglicht. Oder zählt am Ende nur das Ergebnis, egal unter
welchen diktatorischen Mitteln es von einem Regisseur erzwungen wurde?
Das Wort „kooperativ“ kann ich
jetzt nur wiederholen. Allerdings habe ich noch nie einen Regiediktator erlebt
und glaube auch nicht, dass ich eine gute Arbeit machen würde. Nein ich weiß
es, denn gerade fallen mir ein paar Situationen ein, in denen Tage, wenn nicht
Wochen lang auf etwas bestanden wurde, was ich nicht den Regisseur überzeugend
und zufriedenstellend spielen konnte, bis mir vor lauter Überdruck und Krampf
die Stimme wegblieb. Ich mag und brauche es, dass sich die Ideen und Phantasien
der Beteiligten aneinander entzünden und sich befruchten.
Foto Jörg Landsberg |
Weil sich die Figuren Fragen
stellen, die sich die Menschen wohl ewig stellen werden. Weil wir uns in ihnen
wiederfinden, ihren Kummer, ihre Ängste nachvollziehen und mitfühlen können. Weil
wir auch über sie und damit über uns lachen können. Weil wir aus dem Paradies
vertrieben sind. Weil wir uns ein Rezept für das vollkommene Glück wünschen,
aber „es ist vergessen, keiner kennt es mehr“, wie Firs sagt. Weil das Theater
selbst ein bedrohter Kirschgarten ist. Weil sich alles nur noch rechnen soll
und uns das alle terrorisiert.
Wie bereitet man sich eigentlich auf die Rolle des „Firs“ vor, der ja
mittlerweile so etwas wie der heimliche Hauptdarsteller vieler „Kirschgarten“
Inszenierungen geworden ist? Zumindest habe ich das so in der Berliner
Aufführung mit dem großartigen Jürgen Holtz am BE empfunden. Dieser „Firs“ist
ja mit seinen 87 Jahren ein sehr alter
Mann und somit fast 40 Jahre älter als Du.
(Danke, aber es sind genau 40
Jahre.) Ich habe mich gar nicht
vorbereitet, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich den Firs spielen würde oder
sollte! Ich habe mich sehr über die Besetzung gefreut und war sehr gespannt auf
das Konzeptionsgespräch und die Ideen der Regisseurin Alize Zandwijk. Als ich sie fragte, ob ich den Firs alt
spielen solle, meinte sie: “Nein, wir nehmen das aus dir und was wir zusammen
erfinden, entwickeln und ausprobieren.“ Einer meiner Versuche war dann extreme Langsamkeit, was den Ausstatter
Thomas Rupert auf das Bild eines „langsamen, langen, mit dem Haus gewachsenen“
Firs brachte. Und so entstand in zwei Monaten die Figur... Das ist immer wieder
toll, wenn am Ende einer Probenzeit etwas entstanden ist, an das man vorher im
Traum nicht dachte!
Du stehst im Moment in Premiere Vorbereitungen für „Kleiner Mann - Was
Nun“ von Hans Fallada in der Regie von Klaus Schumacher im großen Haus am
27.02.14. Vielleicht kannst Du uns einen kleinen Einblick in die aktuellen
Probearbeiten geben bzw. den geneigten Leser darüber informieren, was ihn an
diesem Abend erwarten wird? Ich habe in der letzten Spielzeit „Jeder stirbt für
sich alleine“ von eben diesem Autoren in Hamburg gesehen, und zähle die Arbeit
am Thalia Theater, unter anderem mit Deiner großartigen ehemaligen Bremer
Kollegin Gabriela Maria Schmeide, zu meinen größten und bewegendsten
Theatererlebnissen überhaupt. Insofern freue ich mich schon sehr auf Eure
Inszenierung.
Das Bühnenbild besteht aus
einem gewaltigen, bedrohlichen Objekt. Mehr möchte ich nicht verraten. Zwei Musiker
sind dabei und acht Ensemblemitglieder. Annemaaike Baker und Peter Fasching
spielen die beiden Hauptfiguren und wir übrigen jeweils mehrere verschieden
Rollen. Die Inszenierung setzt ganz auf die Sprache und Imagination und auf das
Vermögen der beiden Hauptdarsteller, einen tief zu berühren.
Diese Frage ist meiner großen Leidenschaft für den Schriftsteller und
legendären Theaterautoren Thomas Bernhard geschuldet. Mir ist natürlich
aufgefallen, dass Bernhard seit Ewigkeiten in Bremen nicht gespielt wurde,
vielleicht sogar noch nie, nicht einmal zu seinem aktuell 25jährigen Todestag.
Woran mag das liegen, sind doch seine Stücke aus meiner Sicht extrem
anspruchsvoll zu spielen und bei Gelingen ein Theaterfest erster Güte, und
somit beste Werbung für das Bremer Sprechtheater. Ich kann mir z.B. sehr gut
vorstellen, dass Dir die Rolle des Wahnsinnigen in „Der Ignorant und der
Wahnsinnige“ auf den Leib geschrieben sein könnte. Teilst Du eigentlich meine
Leidenschaft für diesen Autor, oder greifen meine Besetzungsphantasien an
dieser Stelle ins Leere?
Da muss ich zerknirscht
zugeben, dass ich „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ nicht kenne...Aber ich
erinnere mich noch an den „Theatermacher“ mit Ulrich Wildgruber in Hamburg und
an „Holzfällen“ (von Christian Pade in Hannover inszeniert): toll! Bernhard ist
tatsächlich lange nicht in Bremen gespielt worden, aber zwei Inszenierungen von
„Vor dem Ruhestand“ habe ich gefunden: 1980 in der Regie von Thomas Reichert
und 1992 von Thomas Blockhaus.
Nach dreizehn Jahren darf man auch mal kurz zurückschauen. Welche
Bremer Arbeiten sind Dir im Rückblick besonders wichtig, insbesondere auch im
Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Deinen Kolleginnen und Kollegen, von denen
ja viele mittlerweile längst an anderen deutschen Bühnen engagiert sind. Gibt
es eigentlich noch Kontakt mit ehemaligen Kollegen, oder lässt der enge Spiel-
und Proben-Plan das einfach nicht zu?
Wieder das Dilemma: wenn ich
eine Arbeit nenne, fallen mir immer weitere ein, die unbedingt
dazugehören...nein, hier kneife ich. Mit einigen Kollegen und Kolleginnen halte
ich freundschaftlichen Kontakt, was wunderbar ist, aber leider fast nur
telefonisch. Dass man sich sieht oder sogar eine Vorstellung besuchen kann,
klappt extrem selten. Zurzeit habe ich noch nicht mal am Theater Bremen alles
sehen können.
Wie kann man sich eigentlich den enormen Zuschauerschwund der letzten
10 Jahre erklären? Noch in der Spielzeit 2002/2003 verzeichnete das Theater
Bremen 240000 Besucher, in der Spielzeit 2012/2013 waren es nur noch 150000
zahlende Zuschauer. Wird diese Situation auch unter den Schauspielern
analysiert und diskutiert, oder liegt hier die Verantwortung ausschließlich in
den Händen der jeweils aktuellen Intendanz?
Die gute Nachricht zuerst: in
der ersten Hälfte der laufenden Spielzeit bis Dezember 2013 hatten wir 30% mehr
Zuschauer! Ich glaube einerseits, dass die negative Außenwirkung viel mit den
Millionenschulden durch „Marie Antoinette“ zu tun hatte, das Haus stand als
Geldverschleuderungsanstalt da, also muss der Laden schlecht laufen, also
können die wohl nichts, also sind die schlecht, also geht man nicht mehr hin.
Wir haben aber nicht alle auf einmal schlechter gesungen, getanzt oder
gespielt! (Siehe Antwort 4) Andererseits verändern sich aber auch unsere
Lebenswirklichkeit und unser Freizeitverhalten durch eine Explosion an (medialen) Unterhaltungsmöglichkeiten und -formen. Verändert sich auch der
Bildungskanon? Wird das „Bildungsbürgertum“ kleiner? Was funktioniert
vielleicht in Hamburg, aber nicht in Bremen, und umgekehrt? Ich weiß nur: unser
Intendant und sein Team nehmen die Verantwortung, Theater- KUNST in vielerlei
Richtungen für ein möglichst zahlreiches Publikum zu machen, sehr ernst!
Mein Eindruck ist, dass Du sehr gerne in Bremen lebst. Was macht den
Reiz dieser Stadt für Dich aus, welche besonderen Orte unserer gemeinsamen
Wahlheimat möchtest Du unseren Lesern jenseits des Theater Bremen ans Herz
legen, und warum sollte ein Reisender die Hansestadt unbedingt besuchen und
kennenlernen?
Unabhängig von wunderschönen
Orten und Plätzen hat mir sofort die Weltoffenheit der Stadt gefallen. Ich
glaube, es ist die Mischung aus Klein- und Großstadt, aus Nähe und Distanz und
eine gewisse Grundentspanntheit. Der Bremer selbst nimmt sich meist nicht so
wahnsinnig wichtig, weiß aber, was er an seiner Stadt hat. Auch den trockenen
norddeutschen Humor „mach ich wohl gut leiden“. Bisher wollte ich hier nicht
wieder weg. Ich bekomme gleich Lust mich aufs Rad zu setzten, an der Weser lang
mit einem Umweg über den Marktplatz, Café Sand, Lankenauer Höft, Bürgerpark und
den Wümmedeich im Blockland zu radeln und meine Familie und Freunde zu
besuchen! Bremen ist meine Heimat geworden.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen