HebeBühne - der Theater Blog - Sascha Hawemanns Inszenierung "Tod eines Handlungsreisenden" Staatstheater Nürnberg

von Philipp Erik Breitenfeld
Braucht es die wohl hundertste Neuinszenierung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“

Für mich persönlich war das primäre Motiv für den Besuch des Staatstheaters Nürnbergs, die alte Wirkungsstätte meines Großvaters, dem Schauspieler Horst Breitenfeld, zu besuchen. Was hätte er sich über diese Mischung im Publikum gefreut. Vom Punk bis zum Professor. Ich habe selten ein divergenteres Publikum gesehen. So fand ich meinen Platz zwischen der Souffleuse und einem älteren Herren mit einer riesigen Afro Frisur. Mein Amüsement konnten die Zuschauer in der Reihe dahinter, ob gravierender Sichtprobleme, wohl nicht ganz teilen.

Ach ja, Theater wurde auch noch gespielt. Sascha Hawemann zeigt also „Tod eines Handlungsreisenden“. Er inszeniert regelmäßig am Deutschen Theater Berlin (u. a. »Taking Care of Baby« von Dennis Kelly), am Theater Magdeburg (»Totentanz – Spiel Ehe Krieg« nach August Strindberg) und Schauspiel Hannover (»HEAVEN – zu tristan« von Fritz Kater). Hawemann arbeitete als Hausregisseur am Centraltheater Leipzig (wo er u. a. »we are blood« von Fritz Kater, »Die Nacht, die Lichter«, »Sirk the East –Traum von Hollywood« und »Gewalten« von Clemens Meyer, sowie »Hamlet Vers 6« nach William Shakespeare inszenierte). Am Hans Otto Theater brachte er zuletzt die Deutschsprachige Erstaufführung von »Die Aeneis« von Olivier Kemeid und »Tschick« nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf heraus.

Der Stoff könnte aktueller nicht sein. Eine immer dynamischere, auf Produktivzahlen ausgelegte und kältere Arbeitswelt, die das Individuum nicht mehr kennt, wird zum Spielball von Depression und Euphorie. Der Vertriebler als Frühindikator für Ignoranz und Intoleranz gegenüber den Bedürfnissen des Einzelnen. Wolf Gutjahr drückt diese Stimmung durch ein steriles Bühnenbild, welches eines einem riesigen Warenlager für graue Anzüge gleicht, stimmig aus. Die Uniformiertheit als Metapher des Resignierens gegenüber Hierarchien.  

Stefan Lorch spielt den Willy Loman sensationell! Der exzentrische, selbstzweifelnde Rausch, der sich in cholerischen Ausbrüchen wie ein Maschinengewehrfeuer ausdrückt, bei gleichzeitiger wohltuender Euphorie, wenn am Horizont der kleine Schimmer Hoffnung empor zu steigen vermag, zeichnen diese suizidverdächtige Figur bis an die Grenzen aus. Ein Hochgenuss!

Louisa von Spieß, die Frau Lohmanns und Linda, verleiht dem verlebten Leben der Lomans durch ihren hocherotischen Gesang und ihrem grundloyalen naiven Aufritt ein klein wenig Glanz. Die Sehnsucht nach mehr. Der Wunsch nach Erfüllung, der im Desaster endet.

Biff, verkörpert durch Christian Taubenheim, als schwarzes Schaf der Familie, der einst die große Hoffnung seines Vaters Willy war und in allem scheiterte, was die Liebe seine Vaters ausmachte. Eine kleine große Geschichte des Aufstands gegen ein vorherbestimmtes und uniformiertes Leben! Und da wäre noch Biffs Bruder Happy, gespielt von Julian Keck, der sich den Vorstellungen des Vaters unterworfen hat, aber dem die Liebe verweigert bleibt. Perversionen und Extreme als Ventil.

Die absolute Entdeckung ist allerdings die skurrile und humoristische Interpretation des Onkel Bens, des Charlys und Lomans Chef Howard Wagner durch Philipp Weigand. Wie eine Duracell Batterie feuert er seine unaufhaltbare Nachricht durch den Theatersaal. Untermalt von einer zynischen und überdrehten Komik, wie sie nur in einer reizüberfluteten Gegenwart wie dieser, zum exzessiven Vorschein kommen kann! Fabelhaft!

Insgesamt kann man der ganzen Inszenierung nur ein lautes Bravo zurufen. Sie brilliert nicht durch großen Pathos oder Special Effekts, sondern durch nachvollziehbares, reales Zweifeln am täglichen (Über-)Leben in einer satten Arbeitswelt, die sich in ihren Bewertungsparametern völlig verschoben hat. Die plakative Suche nach ein klein wenig Glück! Ohne Kitsch und ohne Pathos. Dafür mit überzeichnetem Frust und Wahnsinn. Die Sehnsucht, die wir alle bei  Zeiten in uns tragen. Am Ende bleibt Daft Punks Imperativ im Raume stehen, Get Lucky!

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