HebeBühne – der Theater Blog – „Orest“ (Residenztheater München), Fake Empire meets Natural Born Killers!
Orest
Königin Klytämnestra und ihre Liebhaber Ägisth haben soeben erfolgreich König Agamemnon erledigt, Chrysotemis, die Schwester der Elektra, sich mit diesem Zustand bestens arrangiert und nur Elektra selbst bleibt das zornige, hasserfüllte, rebellische Mädchen, das den Vatermord gerächt sehen will! Das diese Sühne als Lebensinhalt begreift! Das Ganze, obwohl ihr Vater Agamemnon ihre dritte Schwester für besseren Wind während einer Schiffsreise geopfert hatte. Die Orgie der moralischen Unstimmigkeiten nimmt ihren Lauf.
von John von Düffel nach Sophokles, Aischylos, Euripides
Regie David Bösch
mit Shenja Lacher als Orest, Andrea Wenzl als Elektra, Sophie von Kessel als
Klytaimnestra u. Helena, Norman Hacker als Aigisthos u. Menelaos, Valerie
Pachner als Chrysotemis u. Hermione
von Philipp Erik Breitenfeld
Kann antiker Stoff noch bewegen? Wie kann der schulische
Vorbehalt aus den Köpfen der Zuschauer verbannt werden? Was will uns der wohl
berühmteste Muttermord der Geschichte heute noch sagen?
Zumindest hinterließ er uns das Patriarchat, sowie das Matriarchat und eine beständige Kategorisierungsneurose, aber vermag es David Bösch uns mit seiner Orest Inszenierung am Münchner Residenztheater, die psychischen, moralischen und politischen Folgen dieses Muttermordes, als weiterhin bedeutsam für die Gegenwart erachten zu lassen?
Zumindest hinterließ er uns das Patriarchat, sowie das Matriarchat und eine beständige Kategorisierungsneurose, aber vermag es David Bösch uns mit seiner Orest Inszenierung am Münchner Residenztheater, die psychischen, moralischen und politischen Folgen dieses Muttermordes, als weiterhin bedeutsam für die Gegenwart erachten zu lassen?
Aus dem Nichts wird man in die staubige und verlogene
Welt der Herrscher Familie gestürzt.
Königin Klytämnestra und ihre Liebhaber Ägisth haben soeben erfolgreich König Agamemnon erledigt, Chrysotemis, die Schwester der Elektra, sich mit diesem Zustand bestens arrangiert und nur Elektra selbst bleibt das zornige, hasserfüllte, rebellische Mädchen, das den Vatermord gerächt sehen will! Das diese Sühne als Lebensinhalt begreift! Das Ganze, obwohl ihr Vater Agamemnon ihre dritte Schwester für besseren Wind während einer Schiffsreise geopfert hatte. Die Orgie der moralischen Unstimmigkeiten nimmt ihren Lauf.
Süffisant die Tatsache, dass es zwar um geplante blutige
und kompromisslose Rache geht, sich aber die Darstellung des Verhältnis
Schwiegervater Ägisth zu Elektra in einer mittelständischen Vorstadtfamilie
verspielt, wo unbeholfener Tadel auf spätpubertären Widerstand trifft. Ähnlich
die Darbietung Klytaimnestras Rechtfertigung des Mordes am Ehemann. Nur die intensive, sprachgewaltige und vereinnahmende
Interpretation der Elektra, durch die fantastische Andrea Wenzl, lässt Großes
erahnen.
Und so soll es auch geschehen. Der Auftritt des Orest,
verkörpert durch Shenja Lacher, eröffnet ein Spektakel der Strapazierfähigkeit
sämtlicher niederer Emotionen und Gelüste. Der inzestuöse und von Rache geprägte
Bund aus den Geschwistern Orest und Elektra, lässt die Spiele beginnen. Die
Schwester als bedingungsloser Anstifter, Orest als brutaler, aber dennoch
zweifelnder Vollstrecker! Die gegenwartsnahe Darstellung erinnert an Woody
Harrelson und Juliette Lewis in Oliver Stones „Natural Born Killers“. Temporeich,
inbrünstig aggressiv, laut und exzessiv kompromisslos. Fabelhaft!
Ägisth und die Mutter Klytämnestra werden in einem illustren
Blutrausch geschlachtet. Die Axt als
bedingungsloses Instrument der Rache. Das Fake Empire zerschlagen.
Es kommt, wie es kommen musste, der zweite Teil behandelt
die erbitternde Reue des Orest. Die paranoide Sehnsucht nach der Sühne. Der
Muttermord als unverzeihbare Tat der gedacht redlichen Motive. Das Volk besinnt
sich nicht mehr der Charakterschwäche der Klytaimnestra. Das Geschwisterpaar soll
bezahlen!
Brillant, das Wechselspiel Wenzl, Lachner. Das
gewissenlose Rechtfertigen der Elektra und das verlorene, selbstzweifelnde,
schizophrene Leid des Orest. Nichts führt zur Bestrafung. Der Amoklauf geht,
untermalt vom schnellen Abwägen der Existenzberechtigung und der wohl eher
bescheidenen Aussicht auf langes Leben, rauschhaft weiter. Die nächsten Opfer
sind Helena und deren Tochter Hermione.
Die Inszenierung David Bösch ist herrlich überdreht, ohne
jemals die Seriosität des Themas in
Zweifel zu stellen. Atemlos, schnell, dicht erzählt und fesselnd bis der
Vorhang fällt. Die Coolness des Tank Girls Wenzl und der zynische Amokläufer Lachner, sind ein unmoralischer
Hochgenuss. Das Unerträgliche, das Ungesühnte, das Unbefriedigende als Resultat
der Rache, bleibt zeitlos. Die Inszenierung Böschs hingegen, überlebensfähig.
Stimmig, modern und eine Orgie der refraktären Gelüste und niederen Bewegründe.
Heute genauso wichtig, wie damals. Ein Tollhaus, dieses Fake Empire!
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