Hebebühne – der Theater Blog - München, die Stunde Null und ein Gruß von Claus Peymann, 3 Theaterrezensionen
von Philipp Erik Breitenfeld
"Alle guten Wünsche für Sie! Und behalten Sie Ihre Leidenschaft für das Bremer Theater und das Theater überhaupt.
Claus Peymann"
Nachdem uns diese E-Mail des Berliner Ensembles erreichte, kamen wir einvernehmlich zu dem Schluß, dass wir nach dem Eröffnungsartikel noch nicht gescheitert sind. Wir wundern uns selbst. Peymanns Wünsche erhalten uns am Leben. Künstlich. Ohne Aussicht dem Scheitern zu entkommen.
Heute nun meine persönliche Stunde null. Die Wiederaufnahme der Theaterleidenschaft. München. Drei Rezensionen zu aktuellen Stücken der Kammerspiele und des Residenztheaters.
1.
Reise
ans Ende der Nacht
von Louis-Ferdinand Céline
in einer Bearbeitung von Frank
Castorf
Mit: Götz Argus, Bibiana
Beglau, Fatima Dramé, Britta Hammelstein, Aurel Manthei,
Eine Schlacht, überdreht, intensiv
Jahrelang kein Theater mehr
und dann gleich mit einer 5 Stunden Frank Castorf Inszenierung wieder
eingestiegen. Reise ans Ende der Nacht, Frank Castorf inszeniert Célines Roman
in München als Material über das Elend der Welt und menschlicher Beziehungen. Ein
forderndes Spektakel, eine Orgie, eine Schlacht, vulgär, überdreht, intensiv,
politisch, kräftezehrend, ausgereizt, aber dennoch real.
Nach dem visuellen und
audiophilen Gang Bang, bleibt ein ironischer und süffisanter Eindruck der
Unbeeinflussbarkeit der Dinge zurück. Schwitzend und zufrieden verlasse ich das
Residenztheater. Großer Abend!
Spannend aber auch das
Publikum des "Resis". Ein bisschen mehr als die Hälfte hat die Pause
überlebt. Der Rest, vor allem die Ü70, waren durchaus großzügig, was dieses
Geplänkel angeht. Ärzte in Ruhestand verteilten fleißig Codein untereinander.
Die Kommentare? Ähnlich herrlich, wie die Inszenierung selbst.
2.
Onkel
Wanja
von Anton Tschechow, aus dem
Russischen übertragen von Ulrike Zemme
Regie: Karin Henkel /Johan
Simons,.
Mit: Stephan Bissmeier, Wiebke
Puls, Benny Claessens, Anna Drexler,
Orgie der Resignation
Die Suche nach dem verlorenen
Glück und dem Sinn des Lebens, sind nun wahrlich keine kontemporären
Herausforderungen, die viel Überraschendes zu bieten hätten. Sind die Suchenden
auch noch gelangweilte Bourgeois, deren Probleme so oberflächlich und weit weg,
wie der Schauplatz, ein Landgut irgendwo in Russland, vom ehrlichen
Überlebenskampf sind, dann schließt sich der Kreis zur Romankultur Ende des 19.
Jahrhunderts.
Die Inszenierung von Anton
Tschechows "Onkel Wanja", durch Karin Henkel und Johan Simons, drückt
dem exzessiven Selbstmitleid der Probanden jedoch einen solch zynischen,
sarkastischen, humorvollen, warmherzigen, leidenschaftlichen und erbarmungslos
hoffnungslosen Stempel auf, dass das Ganze zu einer Orgie der lebensmüden,
höchst unterhaltenden und zutiefst lächerlichen Herrlichkeit
zwischenmenschlicher resignierter Beziehungen wird!
Das Ende bietet keine
Zuversicht. Die kleine Bühnenbox lässt niemanden entkommen. Die melancholische
Begleitung durch die russische, singende E-Bass Spielern am äußersten Rande des
Spektakels, bleibt der einzige Hoffnungsschimmer eines selbstmitleidigen
Perpetuum mobile.
Wie zuversichtlich ist die
Welt, dass sie Euch alle trägt.
Unbedingt ansehen!
3.
Schande
(Premiere)
nach J. M. Coetzee
Dramatisierung von Josse De
Pauw
Regie: Luk Perceval,
Mit: Aaron Amoatey, Marc
Benjamin, Stephan Bissmeier, Felix Burleson,
Lethargisch skandalös
Gestern nun die Premiere von
"Schande" nach der Romanvorlage von J. M. Coetzee, inszeniert von Regiestar
Luk Perceval. Großer Stoff, leider lethargisch umgesetzt. Zuviel Stereotypen, zu
viel Phlegma, zu starr.
Stephan Bissmeier kann als
David Lurie in seinem unerschöpflichen Narzissmus hier und da glänzen. Brigitte
Hobmeier kann anfangs noch als Freigeist sympathisch das Stück beleben. Diese
Diskrepanz zwischen David Lurie, der nur flieht, aber nichts an seinem Leben
ändert und der Tochter, die sich allem stellt und dadurch bedingungslos und in
manischer Erniedrigung die nötigen Umstände akzeptiert.
Das hätte man wahnsinniger und
kompromissloser darstellen müssen. Schmerz und Leid ob des zentralen Schicksalsschlags,
verliefen sich im Zynismus und Sarkasmus Bissmeiers. Hobmeier war zu blass, um
hier kompensieren zu können. Der politische Charakter der Romanvorlage wurde
völlig verpasst. Obwohl die Zeit kurz nach der Apartheid und nun Mandelas Tod
der Bühne die nötige Komplexität hätte geben können. So dümpelt das Ganze so
vor sich hin. Luk Percevals leidenschaftsloser Versuch wurde dementsprechend
mit mauen Applaus bedacht, weil auch den Letzten kein Funke ansprang.
Der eigentliche Skandal aber,
war das komplette Auslassen des politischen Backgrounds, respektive dem
historischen Kontext. Die Schwarzen wurden demnach ausschließlich als
Vergewaltiger, Räuber und neureiche Landbesitzer dargestellt. Das Ganze ohne
Chance auf eine zweite Meinung! Die erste Schwarze ist eine Hure, der Zweite
ein niederträchtiger Farmverwalter und der Rest Kriminelle Räuber und
Vergewaltiger. Das Stück dreht sich mehr um Luries depressive
Selbstverliebtheit, als um die Geschehnisse an sich. Ein Versuch einer
Umsetzung. Mehr nicht.
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