HebeBühne - der Theater Blog - Abrechnung Josefstadt oder Zeuge einer gesellschaftlichen Wiener Vergewaltigung

von Michael Jetter
Das zweite Mal ist bekanntlich immer am schwierigsten. Die Wiederholungstat! Beim ersten Mal geht in aller Regel alles sehr schnell, und man(n) ist dankbar die Großtat endlich hinter sich gebracht zu haben. Ich habe zwar Blut geleckt über das Theater zu schreiben, aber ich weiß auch um die Schwierigkeit ein Thema zu besetzen, dass den geneigten Leser in seinen Bann ziehen soll.

Der verehrte Thomas Bernhard möge mir die Möglichkeit bieten, einen weiteren Versuch zu wagen. Mitte Dezember wurde ich Zeuge einer gesellschaftlichen Wiener Vergewaltigung und Beschmutzung, eben dieses Welttheaterautoren und Weltschriftstellers, ehemaligen Staatsfeindes und musikalischen Sprachkünstlers. Das erschütternde Szenario spielte sich im bourgeoisen 8. Bezirk, genauer gesagt im Theater in der Josefstadt, ab. 

Gleich an der Garderobe spürte ich einen ersten, aber umso deutlicheren Zweifel, ob ich mich nicht im falschen Theater befinden würde. Nie in meinem Leben sah ich mich einer so großen Zahl von Pelz und Schmuck behangenen Damen und müde dreinblickenden, in Loden und feinem Anzugsstoff ausgestatteten Herren gegenüber.

Es waren Figuren, nicht alle selbstredend, wie aus einem Stück des gleich dargebotenen Autors. In den biedermeierlichen Sträuselsälen, wurde ich umgehend mit langen Schlangen vor dem reichlich eingedeckten Buffet konfrontiert und entschied leichten Herzens, mich diesem groß- und kleinbürgerlichen "Meet and Greet" zu entziehen, um auf meinem Platz in dem wunderschönen und 1788 eröffneten Theater bis zum Beginn der Aufführung zu verharren. 

 "Vor dem Ruhestand" ist sicher nicht Thomas Bernhards bestes Theaterstück, dazu fehlt, speziell im zweiten Akt, die sonst gewohnte sprachliche Virtuosität. Das Stück spielt in der Nachkriegszeit und handelt von einem ehemaligen SS Mann und Lagerkommandanten (gegeben von Michael Mendl), sowie seinen beiden Schwestern (Nicole Heesters und Sona MacDonald), mit denen er in einem inzestösen und patriarchalisch geprägtem Verhältnis lebt. 

Einmal im Jahr begehen die Drei gemeinsam den Geburtstag von Heinrich Himmler. An eben diesem 07. Oktober werden die Fenster abgedunkelt, Rudolf Höller, mittlerweile Gerichtspräsident und am Vorabend seiner Pensionierung, legt die SS Uniform an, Vera deckt hübsch ein und Clara, im Rollstuhl sitzend, muss sich traditionell die frisch von ihrer Schwester gebügelte KZ Kleidung widerwillig anziehen lassen. 

Die Geschwister beginnen zu plaudern, schauen sich alte Bilder an und inszenieren für sich gemeinsam den Stillstand der guten alten Zeit. Das 1979 in Stuttgart uraufgeführte Stück (Regie Claus Peymann), ist selbstredend eine Abrechnung mit der nicht aufgearbeiteten österreichischen NS Vergangenheit, des bürgerlichen Mitläufertums und der konsequenten Leugnung, dass man sich in Österreich an Unrecht, Massenmord und Zerstörung beteiligt habe. 

Die Intension des Stoffes (Regie Elmar Goerden) scheiterte an der Lethargie des Publikums, gegen das es sich ursächlich und zielgerichtet wendet. Die Gemeinheiten und Offenlegungen der drei Protagonisten, zeigten keinerlei Wirkung. Eine Empörung, Betroffenheit oder Empathie gegenüber dem Stoff oder eine Auflehnung des Publikums, war zu keiner Zeit spürbar, ist der Autor ja schon vor knapp 25 Jahren verstorben und kann somit in den Kanon österreichischer Großkünstler ganz unbefangen, gelangweilt und großzügig (Lachen im denkbar unpassendsten Moment) aufgenommen werden. 

Theater als angenehmes Beiwerk und Repräsentationsmedium einer ganz speziellen gesellschaftlichen Wiener Schicht, und ich mittendrin! Man wird in der Josefstadt ungewollt Zeuge der Vereinnahmung eines ehemaligen Feindbildes durch das bourgeoisen Josefstädter Abonnementpublikum, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. Dieser Abend machte es mir undenkbar, trotz guter Schauspieler, freiwillig jemals wieder einen Fuß in dieses museale und biedermeierlich anmutende Theater zu setzen. 

Erstmalig in meinem Leben verließ ich den Ort des Geschehens schon während des recht kurzen, niemals anschwellenden Schlussapplauses schnellen Schrittes, flüchtete in den nahegelegenen 7.Bezirk (Heimat der Bobos), mich bei mehreren Gläsern italienischen Rotwein, der Winzer ist ein bekannter und im Berliner Exil lebender Wiener Fotograf und Journalist, meinem gerade Erlebten zu versichern und final von diesem Horrortrip emotional loslassen zu können. 

Hätte ich nicht an den Vorabenden großartige und leidenschaftliche Aufführungen im Akademie und Burgtheater gesehen, ich wäre ernüchtert und irgendwie auch verletzt am nächsten Morgen Richtung Heimat aufgebrochen. Darüber dann bei nächster Gelegenheit gerne ausführlicher in der hochgeschätzten Hebebühne.

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Kommentare

  1. "In der Josefstadt wurden ungeheure Fehler gemacht. Man hat sich nie um ein anderes Publikum gekümmert. Kaum hat man eine Aufführung im Haus, die auf dem Niveau des zeitgenössischen Theaters steht (...) zerbricht das halbe Theater daran, weil ein vollständig unvorbereitetes Publikum damit nichts anfangen kann. Das passiert, wenn die Theater sich nicht grundsätzlich öffnen und in eine Art von Gegenwart hineinbewegen." Claus Peymann, 1998 im profil ... scheinbar hat sich seitdem nix grundsätzliches geändert :-(

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  2. der spielplan hat sich durchaus positiv verändert, das publikum nicht. aktuell läuft z.b. das interview von theo van gogh. die besucherzahlen scheinen gut, also kein druck sich wirklich zu öffnen.

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