Hebebühne – der Theater Blog - Wie alles beginnen musste… von Michael Jetter

Wir sind ein Weinblog. Wir lieben das Kulturprodukt Wein. Wegen seiner Tiefe, seiner Komplexität, seinen Geschichte, die er zu erzählen weiß, die er manchmal erzählen muss. Wir sind Enthusiasten. Wir sind Fanatiker. Wir sind politisch. Wir sind fehlbar. Wir sind reich. Wir sind arm. Wir sind Suchende. Wir resignieren. Wir sind arrogant. Wir sind höflich. Wir sind exzessiv. Wir sind schön. Wir sind hässlich. Wir sind mutig. Wir sind feige. Wir sind geschmackvoll. Wir sind Plörre. Wir sind.

Diese Divergenz beinhaltet und ist Theater auch. Meine neue Empathie nährt meine Leidenschaft. Ich habe mich verliebt. Unsterblich. Und deswegen schreiben wir hier auf dieser kleinen, aber freien Plattform in Zukunft auch über Theater. Wir werden scheitern.

Wir sind Inspiration. Deswegen stammt der erste Gastbeitrag von einem, der dem Direttore die Augen öffnen konnte, der eine Flamme anzündete im großen Ofen der penetranten Ignoranz, obwohl familiär bedingt das Theater jahrelang in meinem Blute seine schlafenden Bahnen schwamm. Es geht los. Regelmäßig. Rücksichtslos.

Wie alles beginnen musste…
von Michael Jetter
Vor wenigen Tagen erreichte mich von dem hochgeschätzten und vielseitig umtriebigen Direttore die Anfrage, ob ich mir nicht vorstellen könnte, für die neu (von eben diesem) ins Leben gerufene "Hebebühne" eine Gastkolumne zu Papier (äh, ja Papier hat der Direttore gesagt!) zu bringen. Es ist natürlich durchaus so, dass ich seit 20 Jahren regelmäßig die deutschen Stadttheater mit meiner Anwesenheit beehre, aber feuilletonistisch habe ich mich meiner großen Liebe, neben dem Wein, bisher noch nicht angenähert. Umso reizvoller es einmal zu versuchen, wissend, dass das Scheitern im Prinzip schon vorbestimmt sein wird, nein sein muss.

Theater sind für mich Kathedralen der Sinnlichkeit und Selbstreflexion, der Schauspielkunst, der Bewußtmachung von Vorgängen und Grenzüberschreitungen, oder sollte ich besser sagen, können es selbstredend sein.

"Ich brauche die Illusion, dass mit einem Stück, das ich inszeniere, etwas aufgedeckt, ja angeklagt wird. Gegen eine Welt in der nach dem Willen Herrschender Widerstand und Pathos keinen Platz mehr haben sollen". - Claus Peymann Intendant Berliner Ensemble

Eine Vertiefung meiner Leidenschaft zum Theater entstand mit dem beruflichen Umzug von Frankfurt/Main nach Bremen im Jahre 1994. Zur gleichen Zeit übernahm der mittlerweile (in Bremen und Umgebung) schon legendäre Klaus Pierwoß die Intendanz am Theater Bremen. Pierwoß gehörte zu den intellektuellen Intendanten, die nicht selbst Regie führen, aber über die wunderbare Gabe verfügen, ein Schauspielerensemble über Jahre zu etablieren, es zu pflegen und zu fordern, sowie jungen Talenten (häufig von der Ernst Busch Schauspielschule, aber nicht nur) eine Möglichkeit der Entwicklung und Konturierung zu bieten.

Gleich zu Anfang der pierwoßchen Intendanz (1994-2007) saß ich also im Parkett (in angenehmer Begleitung, wie ich mich sehr gerne erinnere) des kleinen Hauses und sah mich mit dem Stück "Engel in Amerika" konfrontiert. Ein Theaterstück vom 1954 geborenen Tony Kushner, das 1992, in der Nachphase der Aidshysterie, in Los Angeles uraufgeführt wurde.

Die Regisseurin Christina Friedrich (auch eine Entdeckung von Pierwoß von der Ernst Busch) verstand es damals auf das vorzüglichste, eine Inszenierung auf die Bühne zu bringen, die mit unglaublich schnellen Szenewechseln, im grellen und tragikkomischen Revuestil, sich den existentiellen Themen Aids, Politik, Verrat, jüdischer Selbsthass und christlicher Bigotterie, im Amerika der Reagan Ära, annimmt.

Nie zuvor war ich solch einer theatralen, stakkatohaften Bilderflut und einer gleichzeitig hochintelligenten Auseinandersetzung um die Rolle und das Leben des jüdischen und homosexuellen Celebrity Anwalts Roy Con (gegeben von der Bremer Theaterlegende Detlef Greisner) begegnet. Ein einflussreicher Mann, der sich nicht zu schade war, im Keller des Studio 54 Schwulenpartys für die republikanische Elite zu geben, um am nächsten Tag einen Gegner, mit einer Indiskretion bei der interessierten Presse, der Homosexualität zu bezichtigen. Bezeichnend auch die Schlußszene, in der Cohn als Großmeister der bürgerlich konservativen Verdrängung erscheint.

"Er könne gar kein Aids haben, sagt er zu seinem Arzt, weil Aids eine Schwulenkrankheit sei. Und er sei nicht schwul, weil Schwule stets machtlose Verlierer seien, er aber habe Macht. "Ich bin ein Hetero, der zufällig mit Männern pennt."

"Diese furiose Engel Inszenierung lässt wieder für das Bremer Theater hoffen. Damit hat es gezeigt, was noch in ihm ist." Matthias Wegner FAZ 11/94

An diesem Abend entschied ich mich naturgemäß für das Sprechtheater, die Schauspieler, das Regiekonzept, für das politische und gesellschaftlich Relevante auf dem Theater und für den magischen Moment der Livesituation auf den Brettern, die nicht nur für mich, unzweifelhaft die Welt bedeuten. Meine damalige Begleitung habe ich einige Jahre später aus den Augen verloren, aber ich habe sie vorher noch einige Male auf dem Theater getroffen, es ging ihr offensichtlich ähnlich wie mir.

Über den aktuell erbärmlichen Zustand des Bremer Theaters lasse ich mich an dieser Stelle besser nicht aus, denn dafür bietet die Hebebühne einfach nicht genügend Raum, aber wie ich mich kenne, werde ich doch auf diese von Kommunalpolitikern und einem schwachen Nachfolgeintendanten (Hans-Joachim Frey) zu verantwortende und elementare Theaterkrise an der Weser, eines Tages zurückkommen müssen.

Sollte der geneigte Leser, als auch der Direttore, die Möglichkeit in Betracht ziehen, sich auf eine weitere Gastkolumne von mir einlassen zu wollen, würde ich gerne über meine ersten theatralen Begegnungen mit dem österreichischen Schriftsteller, Philosophen, Theaterautor, Übertreibungsgott, Wiederholungskünstler, Staatsfeind und musikalischen Sprachakrobat Thomas Bernhard Zeugnis ablegen.

"Die Kunst des Nachdenkens besteht in der Kunst, das Denken genau vor dem tödlichen Augenblick abzubrechen." Thomas Bernhard

An dieser Stelle sei nur nur soviel verraten. Ich halte Thomas Bernhard für einen der größten Welttheaterautoren unserer Zeit. Zusammen mit Ibsen und Tschechow, steht er für mich noch vor den eigentlich unantastbaren Shakespeare, Goethe und Schiller, aber wie gesagt, dass entscheiden Sie, liebe Leser, und der Herausgeber der Hebebühne, Monsignore Philipp E. Breitenfeld!

Lesen Sie nächstes Mal auf der "HebeBühne", wie München die theatralische Stunde Null für den Direttore wurde...

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