Der große Schloss Johannisberg Report – Tradition ist Zukunft!
In meinen Anfangszeiten der Weinschreiberei musste es
thematisch wild, avantgardistisch, kontemporär und revolutionär zugehen. Es
war von großer Bedeutung, sich von den verkrusteten Strukturen der alten
Weinwelt zu befreien und quasi eine Kulturrevolution zu dokumentieren. Viele
junge Weinmacher und Investoren gaben dieser Dynamik Futter.
Mit den Jahren fand ein gewisser einsichtiger Prozess
statt. Das Aufblühen wie Phoenix aus der
Asche, bedingt ein Fundament an wertiger Tradition. Das Eine kann ohne das Andere
nicht existieren, vor allem im Weinbau. Ganz im Gegenteil. Einige junge
Weinmacher besinnen sich heute Traditionen, welche viele Jahrzehnte
zurückreichen. Anachronistenpunks!
Wer die Geschichte des Rieslings verstehen und auch ein
Stück weit spüren möchte, der kommt an einem Besuch des Schloss Johannisberg im
Rheingau nicht vorbei. Seit über 1200 Jahren wird hier Weinbau betrieben. Das
ist mal eine Hausnummer! Ursprünglich wurde hier ein Benediktinerkloster
gegründet. Der Keller, respektive die „Bibliotheca subterranea“, die Schatzkammer
des Schlosses mit ihren Wein-Raritäten aus mehreren Jahrhunderten, lassen einen
diese Tradition deutlich spüren.
Zu Zeiten des zweiten Weltkriegs, wurde die Schlossanlage
durch Fliegerbomben fast komplett zerstört. Fürstin Tatiana und ihr Mann Paul
Alfons Fürst von Metternich sorgten nachdem Krieg für die Instandsetzung. Die
Fürstin lebte bis zu ihrem Tod im Juli 2006 auf Schloss Johannisberg.
Ein Rundgang durch die Schlossanlage ist durchaus beeindruckend. Zusätzlich zu der aristokratischen Stimmung des Schlossbildes und dem spektakulären Keller, natürlich auch der wunderschöne Blick von der
Schlossterrasse auf den Rheingau an sich, aber vor allem auf den Johannisberg.
Seine Boden Merkmale sind Taunusquarzit mit einer Löss- und Lehmauflage. Auf
35 Hektar wird hier Weinbau betrieben. Trotz der 130 000 Besucher jährlich, die
natürlich einen großen Teil des Absatzes sichern, sind der Betrieb und die
Wartung einer derartigen Anlage sehr kostenintensiv. Die Zugehörigkeit des Weinguts zur Oetker
Unternehmensgruppe sichert demnach das Fortbestehen.
Nun sind Tradition und epochale Ausstattung nicht
gleichzeitig Garant für gute Weine. Auch die Macharten der Tropfen haben sich
je nach Kellermeister und Gutsinhaber verändert. Spontanvergärung, Maischestandzeit, Holz, je nachdem was in welchem Maße der
Jahrgangsherausforderungen von Nöten war.
So nahm ich die Möglichkeit war, zusammen mit Christian
Witte (Gutsverwalter), an einer Rotlack-, Silberlack und Grünlack
Vertikalen Verkostung teilzunehmen. Die Probe aufs Exempel! Wieviel Mut kann Tradition?
Seit Metternichs Zeiten werden die Qualitäten auf Schloss
Johannisberg mit verschiedenen Farben unterschieden, früher mit Siegellack,
heute mit farbigen Kapseln.
Gelblack: Qualitätswein
Rotlack: Kabinett
Grünlack: Spätlese
Silberlack: 1.Gewächs
Rosalack: Auslese
Rosa-Goldlack: Beerenauslese
Goldlack: Trockenbeerenauslese
Blaulack: Eiswein
2012 Schloss
Johannisberg Rotlack Kabinett trocken Riesling
Straff, ordentlicher Zug, stoffig, geschliffene Frucht,
anregende Herbe und Mineralität
2012 Schloss
Johannisberg Rotlack Kabinett feinherb Riesling
Feinfruchtig, grazile Säure, vordergründig, zugänglich,
saftig, enormer Trinkfluss
2005 Schloss
Johannisberg Silberlack „Erstes Gewächs“ Riesling
Akazien Honig, Mandel, Marzipan, Rum, Rosinen, leicht
minzig, sehr expressiv, laut, Fantastisch!
2006 Schloss
Johannisberg Silberlack „Erstes Gewächs“ Riesling
Apfel, Citrus, leicht alkoholisch, zartsüß, reifes
Steinobst, ein wenig Petrol, mit zunehmender Belüftung Karamell und eine
anregende Würze, volles Mundgefühl, animierende Frucht und dennoch elegant.
Dazu einen winterlichen Entenbraten, genial! Einer der komplexesten Weine der
Verkostung.
2007 Schloss Johannisberg Silberlack „Erstes
Gewächs“ Riesling
Ein wenig Maggi in der Nase, würzig, Rothbusch, trockene
Nelke, ein bisschen Orangenschnaps, Humidor, unglaublich pointiert am Gaumen,
langes Finish.
2008 Schloss
Johannisberg Silberlack „Erstes Gewächs“ Riesling
Speck, kalter Rauch, Grüner Tee, reifes elegantes
Steinobst, kühl, am Gaumen klar wie ein Bergbach, geradeaus, unheimlicher
Trinkfluss, geschliffene Säure, sehr eleganter Wein!
2009 Schloss
Johannisberg Silberlack „Erstes Gewächs“ Riesling
Frische kühle Eleganz, schlankeres Gesamtbild, im
Gegensatz zu 08 und 10 nach ein wenig ungesetzter Eindruck.
2010 Schloss
Johannisberg Silberlack „Erstes Gewächs“ Riesling
Introvertiert, noch zu, Am Gaumen durchaus kühl, straight
und mit ordentlich Grip.
2011 Schloss
Johannisberg Silberlack „Erstes Gewächs“ Riesling
Würzig, filigraner, edler und zumindest im Geschmacksbild
trockenster Wein (3,6 Gramm RZ). Rassige Säure, präsente Struktur, unheimlich
lang.
2012 Schloss Johannisberg
Silberlack „Großes Gewächs“ Riesling
Feine junge Frucht, nobles Steinobst, ordentlich Saft und
Grip am Gaumen, wieder die unverkennbare rauchige Note, das neue Holz ist
präsent. Noch viel zu jung, macht aber schon Vorfreude auf das, was da noch
kommen könnte.
…und noch ein paar Highlights aus der Grünlack Vertikalen
2005 Schloss Johannisberg
Grünlack Spätlese Riesling
Ananasbombe!, sorbetartig, rauchige, mineralische Noblesse,
lebendig, vital, lang, macht unheimlich Freude. Großer Wein!
2008 Schloss
Johannisberg Grünlack Spätlese Riesling
Überraschend trocken im Geschmacksbild, herb, saftig,
delikate u. pikante Säure, fast schon aristokratisch, facettenreicher und
komplexer Wein!
…und hier noch meine zwei Highlights aus der Altweinprobe
1953 Schloss
Johannisberg Grünlack Spätlese Riesling
Mandarinenkompott, Akazienhonig, Kamille, Steinfrucht,
irgendeine Wahrnehmung Richtung Tennisbälle, rauchige Würze, im Geschmack unheimlich
lebendig und mineralisch mit einer überraschenden Tiefe.
1968 Schloss
Johannisberg Rosalack Auslese
Salz, Muscheln, minzig, anfänglich ein wenig Sauerampfer,
Honig, Karamell, leichte Süße, vitale Säure!, ausgeprägte Mineralik und
unendlich lang. Wieder ein Beweis, dass Altweine eine absolute Bereicherung für
die Sinne darstellen können.
Diese Probe war außergewöhnlich spannend. Das Gegenüberstellen von vermeintlich süßen zu
trockenen Wein, lässt einen riechen und schmecken, dass bei Reife die
voreingenommenen Geschmacksmuster ad absurdum geführt werden. So war die 2008er
Schloss Johannisberg Grünlack Spätlese im Geschmacksbild wohl einer der
trockensten Weine der faszinierenden Verkostung. Alles in allem schwebt als
einziger, sensorisch gemeinsamer Nenner eine rauchige und kühle Note über den
Weinen von Schloss Johannisberg. Das macht die Tropfen authentisch und autark. Grundsätzlich
sollte man den Weinen ein wenig Zeit gönnen und nicht zu früh trinken.
Wieviel Avantgarde Tradition beinhalten kann, wurde durch
dieses Probieren verdeutlicht. Vor soviel Riesling Geschichte zieht selbst der
Direttore seinen Hut. Deswegen können Traditionsbewusstsein und zeitgemäßer
Weinbau nur Hand in Hand Richtung Zukunft schauen.
"Tradition ist Bewahrung des Feuers
und nicht Anbetung der Asche."
Gustav Mahler
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