HebeBühne - der Theater Blog - Im Gespräch mit Schauspielerin Meret Engelhardt Teil 2

©Harald Morsch

Aus dem Leben einer Nachwuchsschauspielerin. Meret Engelhardt. Michael Jetter versucht herauszufinden, welchen Antrieb, welche Herausforderungen, welche Ansichten und welche Grenzen die junge Schauspielerin unterhält. Theater heute und persönliche Sehnsüchte.
Zweiter Teil unseres Gespächs mit Meret Engelhardt über subventioniertes Theater, moralische Grenzen, Regietheater und über Merets aktuellem Stück.

Mich würde an dieser Stelle Deine Erfahrung im Bezug auf die Rückkoppelung zwischen den Schauspielern und dem Publikum interessieren. Ich war seinerzeit extrem überrascht, als eine Bremer Akteurin (die wunderbare Gabriele Möller-Lukasz) mir im Anschluss an eine Vorstellung exakt sagen konnte, wann ich am lautesten während der Aufführung gelacht habe. Spürt man als Schauspieler den „Spirit“ des jeweiligen Publikums oder spielt man jeden Abend wieder aufs Neue gegen eine menschliche dunkle Wand an?

Jedes Publikum ist ein anderes, so wie jeder Theaterabend ein anderer ist. Das ist ja auch das schöne. Der Zuschauer kann sich gar nicht vorstellen, wie dankbar man als Schauspieler über seine ungeteilte Aufmerksamkeit ist. Wenn man merkt, dass das Publikum reagiert, ist das eine Streicheleinheit auf der Seele eines Schauspielers. Es gibt aber auch Tage, an denen man aus ganz lapidaren Gründen, wie Grippe oder Kopfscherzen, so konzentriert ist die Vorstellung gut zu spielen, dass man keine intensive Verbindung mit dem Publikum aufbauen kann.

Es hängt auch immer von der Art und Weise ab, welches Theater man macht. Wenn man schon von Anfang an die vierte Wand bricht und mit dem Publikum spielt, hat man gleich ein anderes Gefühl. Andersherum gibt es Stücke, in denen man so an den Spielpartnern dran bleiben muss, dass man das Publikum vergisst und ganz in das Spiel eintaucht. Dennoch merkt man trotzdem, ob das Publikum konzentriert dabei ist oder nicht.

Welche zeitgenössischen Theaterautoren haben aus Deiner Sicht unbedingte Relevanz und gehören auf jeden Spielplan? Es scheint mir so zu sein, dass das Angebot nicht sehr groß ist und das viele Autoren aus monetären Gründen aktuell lieber für das Fernsehen oder Kino schreiben?

Es gibt so viele Autoren. Ich bin ein großer Pollesch Fan. Ich finde, dass bei ihm der Text in der Inszenierung ein einziges Verschmelzen ist. Vor drei Jahren habe ich am Akademietheater „Peking Opel“ von ihm mindestens drei Mal gesehen. Seine Texte haben ein unglaubliches Tempo und zeigen Zusammenhänge unserer Gesellschaft auf. Durch Autoren wie Ewald Palmetshofer oder Katrin Röggla, hat das Theater auch eine neue postmoderne Art des Schreibens mitbekommen. 

Ihre Texte zeigen eine Welt auf, in der die Menschen nur noch im Konjunktiv von sich sprechen können. Auch ein Peter Licht, der ja eigentlich als Musiker und Sänger bekannt geworden ist, schreibt jetzt für dasTheater. Ich glaube, dass es unglaublich viele neue Autoren gibt, die es wert sind gefördert zu werden. Es ist, glaube ich, genauso schwer als Autor sein Geld zu verdienen wie als Schauspieler. Auch ein Simon Stevens oder eine Elfriede Jelinek gehören für mich auf jeden Spielplan. Bei Jelinek scheiden sich ja oft die Geister. Für mich ist es wichtig, dass junge Leute ihre Eindrücke unserer heutigen Gesellschaft zu Papier bringen. Wer sich dann durchsetzen wird, werden wir in dreißig Jahren wissen.

Ist subventioniertes Theater eigentlich noch zeitgemäß, oder muss man sich dem steigenden Desinteresse der Masse fügen, meinetwegen auch dem gegenwartigen Kulturpessimismus, der ja z.B. in der aktuellen Fernsehlandschaft seinen Ausdruck findet? Besitzt der Satz „was sich nicht trägt, hat keine Daseinsberechtigung“ irgendeine berechtigte Bedeutung für das Theater und wie bewertest Du ihn in diesem Zusammenhang?

Das Staats,- Stadt- und Landestheatersystem hat auf jeden Fall eine Daseinsberechtigung! Es macht einen riesigen Unterschied, ob eine Stadt ein Theater hat oder eben nicht. Wenn es in einer kleinen Stadt ein Theater gibt, ist das ein Zeichen. Theater hat immer etwas mit kultureller Entfaltung zu tun und manchmal kann es auch einen Fluchtpunkt bieten. In Wien war es als Student zum Beispiel billiger am Freitagabend ins Burgtheater zu gehen, als ins Kino. Und Studenten gehen ins Theater. Eines der wichtigsten Punkte im Theater ist das Kinder und Jugendtheater. Wenn man es schafft die Jugendlichen von zwölf bis siebzehn ins Theater zu bekommen, werden sie bis ans Ende ihres Lebens begeisterte Theatergänger sein. 

Das größte Problem in der Theaterlandschaft sind die Streichungen der Gelder. Ich habe neulich einen Artikel gelesen, in dem aufgezeigt wird, dass heute immer mehr Theater mit immer weniger Mitteln gemacht wird. In den letzten zehn Jahren sind in Deutschland tausend Ensemblestellen für Schauspieler gestrichen worden. Das Repertoire in den Theatern wurde jedoch erweitert. Das führt dazu, dass man mehr arbeiten muss und weniger verdient. Fast jeder Schauspieler ist sich bewusst, dass er ersetzbar ist. 

Noch mehr, man weiß, dass es tausend Leute gibt, die für noch weniger Geld arbeiten. Vor ein paar Tagen hat ein von mir geschätzter Schauspieler in einer von mir weniger geschätzten Talkshow behauptet, man würde als Schauspielanfänger in der Provinz 3000 Euro verdienen. In der Realität sieht es jedoch so aus, dass im August 2013 der Mindestlohn von 1600 auf 1650 Euro erhöht wurde. Es gibt aber auch viele Schauspieler, die für noch weniger Geld arbeiten müssen. Vor allem in der freien Szene. In der Fernsehlandschaft sieht es so aus, dass billig gemachte Reality-TV Shows ihre Schauspieler von der Straße casten, da diese ohne Ausbildung noch billiger zu haben sind. Diese ganzen Aspekte führen zu einem gewissen Pessimismus innerhalb der Theaterschaffenden. Das Publikum kommt jedoch noch immer und wird weiterhin ins Theater gehen.

Kennt die Bühne moralische Grenzen bei der visuellen Darstellung, oder ist Prinzipiell alles möglich? Vom Gemetzel bis zur Pornographie? Gibt es darstellerische Hemmungen oder Unmöglichkeiten für Dich in Deiner Arbeit?

Für mich gibt es auf jeden Fall Grenzen. Wenn zum Beispiel ein Tier live auf der Bühne geschlachtet würde. Für so etwas gibt es meiner Meinung nach keine künstlerische Notwendigkeit. Die Frage des „Nacktseins“ auf der Bühne ist ja eigentlich schon ein bisschen überholt. Nacktheit provoziert nicht mehr. Wenn ich im Theater bei einer Nacktszene sitze, geht ein Raunen durch die Menge, was aber mehr ein „nicht schon wieder“ als ein „wie kann man nur“ ist. Ich habe mit Nacktheit und Freizügigkeit auf der Bühne kein Problem. Es muss nur wirklich notwendig sein und nicht einfach so aus einer Laune des Regisseurs oder der Schauspieler geschehen. 

Ich habe mir vor Jahren „Lorenzaccio“ im Wiener Burgtheater angesehen. In einer Szene legte sich Nicolas Ofczarek als Alessandro de Medici nackt und genüsslich auf ein überdimensionales Sofa, um auf seine Angebetete zu warten. Zu diesem Zeitpunkt der Inszenierung hat das wunderbar gepasst. Sein Räkeln war keine bloße Nacktheit. Viel mehr war die Art und Weise, in der Ofczarek es getan hat, eine der Überheblichkeit der Figur entsprechende Notwendigkeit. Eine weitere Grenze wäre eine politische Positionierung, die meiner eigenen widerspricht. Wenn mich die FPÖ in Österreich für eine Lesung engagieren wollen würde, müsste ich selbstverständlich ablehnen. Ich finde, dass man gerade im Theater eine politische Meinung haben muss, oder sich zumindest mit der Politik auseinander soll. Da das Theater in gewisser Weise ein Sprachrohr ist, muss man bei diesem Thema eine klare Stellung beziehen. 

Was ist eigentlich das viel zitierte Regietheater für Dich, und wie nennt man dann das Nicht Regietheater? Ich habe das bis heute noch nicht richtig verstanden. Es gibt einen Stoff,  Schauspieler, Bühnenbild und einen Regisseur, insofern ist doch jeder Abend ein von dem Regisseur und seinem Team geprägter Regietheaterabend, oder etwa nicht!?

Wenn man jetzt von der Theatergeschichte ausgeht, ist das Regietheater ein Begriff, der in den 1970er Jahren von Kritikern entwickelt wurde, um ein Schauspiel zu beschreiben, indem der Regisseur totalitär über alle anderen Meinungen der Kunst steht. Für mich ist das eine Arbeit,  in der ein Regisseur kein Vertrauen in seine Schauspieler hat. Das ist für mich das Allerwichtigste. Wenn ich mit Menschen zusammen arbeite, die alle gemeinsam ein Projekt in Angriff nehmen, fühlt sich das richtig an und nur so kann für mich gutes Theater entstehen. Zusammen kann man viel mehr entwickeln, da jeder Einzelne andere Vorstellungen und Ideen einbringen kann. Ein reger Austausch ist notwendig. 

Ein Regisseur ist jedoch essenziell für eine Aufführung. Wenn man in einem Prozess steckt, verliert man manchmal den Überblick für das große Ganze. Also, wohin läuft die Geschichte, haben wir unser Ziel noch vor Augen, oder verläuft sich das? Der beste Regisseur ist für mich einer, der mit den Schauspielern zusammen ein Stück entwickelt und Vorschläge und Anregungen zulässt. Ich würde einen Theaterabend nicht in Regie- oder nicht Regietheater einteilen. Für mich geht es vielmehr darum, ob sich eine Geschichte oder ein Thema vermittelt oder eben nicht. Das ist das entscheidende.

Erzähle uns doch bitte abschließend noch etwas über Deine neue Rolle und das Stück „Wir lieben und wissen nichts“ in Münster. Der Autor Moritz Rinke kommt ja gebürtig aus Worpswede und ist nicht nur in meiner Wahlheimat Bremen ein sehr geschätzter und gefragter Theaterautor und Schriftsteller.

In dem Stück spiele ich die Magdalena. Magdalena ist Tierphysiotherapeutin und begleitet ihren Mann Roman bei einem Geschäftsaufenthalt. Ihr Mann soll ein paar Wochen für ein Projekt in einer anderen Stadt leben und aus diesem Grund beschließt das Paar aus Zürich ihre Wohnungen mit einem anderen Paar zu tauschen. Das Ganze haben sie mit Hilfe einer Tauschbörse im Internet organisiert. Bei dem Wohnungstausch prallen zwei Welten aufeinander. Das Stück hat mich beim ersten lesen an „Der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza erinnert. 

Rinke beschreibt darin zwei Paare, die zusammen leben, aber nicht mehr miteinander leben können. Magdalena hat einen Brief von Roman, ihrem Mann, gelesen. Eigentlich sollte sie ihm den Inhalt verraten, aber sie kann es nicht. Das ist ein sehr spannender Punkt für mich. Wie übermittele ich einem Menschen, den ich sehr liebe, eine Nachricht, die ihn verletzen und vielleicht sogar zerstören wird? Im Laufe des Abends werden Geheimnisse, die die Paare voreinander haben entdeckt und gegen Ende fällt sogar ein Schuss. Aber mehr  möchte ich an dieser Stelle noch nicht verraten. Die Premiere ist am 13. Februar und anschauen lohnt sich. 

Hier geht es zum ersten Teil. 

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