HebeBühne - der Theater Blog - Im Gespräch mit Schauspielerin Meret Engelhardt Teil 1

©Ulrike Rindermann

Aus dem Leben einer Nachwuchsschauspielerin. Meret Engelhardt. Michael Jetter versucht herauszufinden, welchen Antrieb, welche Herausforderungen, welche Ansichten und welche Grenzen die junge Schauspielerin unterhält. Theater heute und persönliche Sehnsüchte. Teil 1 unseres Gesprächs.

Meret, Du bist nach Stationen in Graz, Paderborn und dem thüringischen Meiningen nun in einem Engagement in Münster, am Wolfgang Borchert Theater. Wie sind Deine Erfahrungen an deutschen Bühnen im Vergleich zu Deinen ersten Schritten in Graz. Gibt es Unterschiede in der täglichen Arbeit und dem kollegialen Umgang miteinander, oder spielt es letztendlich für Dich keine Rolle, ob man in der Steiermark oder  in Westfalen als Schauspielerin arbeitet?

Meret: Ich bin in Wien geboren und in dieser Stadt bekommt man das Theater geradewegs in die Wiege gelegt, wenn man sich nicht dagegen verschließt. Das Burgtheater ist nicht einfach nur eine künstlerische Spielstätte. Die Wiener sind stolz auf ihr Theater und ihre Schauspieler. Ich habe das Gefühl, dass man dieses Phänomen in den meisten größeren Theaterstädten in Österreich vorfindet. Ich habe das auch während meines Studiums in Graz gemerkt.

Dazu fällt mir immer der erste Arztbesuch als Schauspielstudentin ein, bei dem ich, als ich beim Empfang sagte, dass ich am nächsten Tag eine wichtige Aufführung habe, sofort zum Arzt vorgelassen wurde. Das ich keine private Versicherung habe, spielte in diesem Moment keine Rolle. In den deutschen Städten in denen ich bis jetzt gespielt habe, war das Publikum auch eng mit dem Theater verbunden.

Dennoch hab ich bei der letzten Wohnungssuche eine Wohnung nicht bekommen, nachdem ich angegeben habe, dass ich von Beruf Schauspielerin bin. Das war eine merkwürdige Erfahrung. Dennoch kommt es mir eigentlich nur auf den Ort und die Menschen an, mit denen ich arbeite. Deutschland hat eine hervorragende und riesige Theaterlandschaft. Es gibt im Vergleich zu Österreich viel mehr zu entdecken und Häuser wie das Thalia Theater, das DT, das BE, das Residenztheater, die Münchner Kammerspiele und viele weiteren Bühnen stehen dem Burgtheater künstlerich in nichts nach!

Ist es in Deinem Interesse als junge Schauspielerin (25 Jahre) in kurzer Zeit an verschiedenen Häusern zu arbeiten, oder wäre es für Deine Entwicklung von Vorteil, in einem langfristigen festen Engagement arbeiten zu können und sich gemeinsam mit seinen vertrauten Kollegen und festen Regisseuren entwickeln zu können?

Meret: Ich habe letztes Jahr in einem Festengagement begonnen. Ich war für ein Jahr fest in Paderborn und habe da sieben Stücke in einer Spielzeit gespielt. Das war ein wunderbarer Einstieg. Auf der Uni sagen einem die Professoren, dass es essenziell sei nach dem Studium viel zu spielen. In Paderborn habe ich große und kleine Rollen, Tragödien, Komödien, Kinder und Jugendstücke und auch ein Musiktheaterstück gespielt.

Da lernt man vor allem wie man sich seine Kräfte einteilt und sich schnell auf neue Situation einlässt. Nach dem Intendantenwechsel bin ich nun als freie Schauspielerin tätig. Da reist man viel herum, lernt viele neue Theater kennen und kann über das Theater nachdenken das man selbst machen möchte. Man hat also eine gewisse Freiheit. Nur die finanzielle Seite ist sehr mühsam. Man hat ein Stück und dann muss man zwei Monate schauen wie man seine Miete zahlt.

Das ist natürlich sehr unsicher und darum auch anstrengend. Ich finde das in diesem Jahr spannend, aber ich bin auch froh, nächstes Jahr wieder fest an einem Haus zu arbeiten und meinen Koffer mal in die Ecke stellen zu können.

Für welche weibliche oder männliche Rolle würdest Du aktuell morden, oder wenigstens eine Straftat begehen, und welche war bisher Deine anspruchsvollste Rolle?

Meret: Das ist eine schwierige Frage. Gerade finde ich es total spannend, Rollen die nicht auf meiner „Rollen die ich mal gespielt haben will“ Liste stehen zu bekommen und diese Rollen erforschen zu können. Mit Neunzehn habe ich bei den Schauspielschulen die „Nora“ von Ibsen vorgesprochen. Das wäre eine Rolle, die würde ich gerne spielen. Genauso wie die „Sonja“ bei „Onkel Wanja“, die „Antigone“, die „Mitzi“ in Georg Taboris „Jubiläum“. Den „Hamlet“ würde ich auch gerne mal spielen. Oder den „Mercutio“.

Ich finde Rollen spannend, die nicht stringent eine Erwartung erfüllen. Junge Frauen die Ausbrechen, Menschen die anfangen ihr Leben neu zu überdenken oder Figuren die dermaßen weit von meiner Persönlichkeit entfernt sind, dass es für mich eine Herausforderung ist, ihre Gedankengänge nachzuempfinden. In Paderborn habe ich die „Pauline Piperkarcka“ aus den „Ratten“ von Hauptmann unter der Regie von Katja Lauken spielen können. Damit hat sich die Liste definitiv um einen Namen verringert.

Auf welchem Theater willst Du unbedingt in der Zukunft einmal spielen? Ist das Burgtheater eigentlich immer noch das Maß aller Dinge für eine österreichische Schauspielerin?

Meret: Die Burg ist schon ein erstrebenswertes Ziel. Ich möchte eigentlich in einer Stadt leben, in der ich mich wohl fühle, und ein Theater machen, dass mir wichtig ist. Klar sind da schon ein paar Namen und Häuser in meinem Kopf, wie das Thalia Theater, das Schauspielhaus Hamburg, das Bochumer Schauspielhaus oder das Residenztheater.

Das sind aber immer Häuser in denen einfach die Theatermacher so tolle Arbeiten machen, dass man direkt auf die Bühne springen und mitmachen möchte. Und das ist, glaub ich, das Entscheidende.

Wie oft gehst Du eigentlich privat ins Theater. Zeitlich wird es sicherlich durch Deine eigene Theaterarbeit schwierig sein, aber unter welchen Aspekten suchst Du Dir eine Vorstellung aus?

Meret: Ich gehe so oft wie möglich ins Theater. Gerade finde ich es auch sehr spannend an den Häusern, an denen ich gerade gespielt habe oder spiele, den Spielplan rauf und runter zu gucken. Ich sehe mir auch regelmäßig die Homepages der Theater an und wenn dann ein spannender Regisseur oder ein spannendes Stück darauf stehen, versuche ich dahin zu fahren. Wenn man selbst spielt, hat man ja abends leider selbst Vorstellung und schafft es gar nicht.

Ich kann Theater heute auch nicht mehr so ansehen wie noch vor dem Studium. Irgendwie analysiert mein Hirn permanent, wie wer was und wo gemacht hat. Da ist es schwierig für mich, mal einfach Theater zu sehen. Oft gehe ich auch ins Kino um mich einfach zu unterhalten. Das ist noch ein bisschen weiter weg und ich kann mich dann ein bisschen besser fallen lassen.

Ist es nicht so, dass das Rollenangebot für junge Schauspielerinnen relativ eindimensional ist? Speziell bei den Klassikern, ist das Frauenbild historisch bedingt, doch sehr von patriarchalischen Strukturen geprägt und die Frau in die Rolle der Hausfrau und des hübschen männermordenden und naiven Mädchens gedrängt. Widerspruch ist an dieser Stelle, wie immer auf der HebeBühne erwünscht!

Meret: Ja, das stimmt zum Teil. In den klassischen Stücken sind die interessanteren Rollen meist die Männlichen. In Schauspielensembles gibt es meistens auch mehr Männer als Frauen, da z.b. ein Schiller oder ein Goethe ihnen mehr Rollen geschenkt haben. Allgemein finde ich, dass man heute einen wirklichen Grund braucht, warum man diesen oder jenen Klassiker spielen will, sprich: was will ich mit diesem Stück sagen?

Das hat für mich meistens auch die Konsequenz, dass die Frauenbilder überdacht werden müssen. Es gibt aber auch ein paar spannende Frauenrollen in der Klassik die psychologisch hoch anspruchsvoll zu spielen sind. Ich denke da gerade an die Medea oder eine Lady Macbeth. Das Schöne an Klassikern ist, dass diese Autoren es geschafft haben, zeitlose Themen der Menschheit zu erarbeiten. Heute wie vor fünfhundert Jahren haben die Menschen Angst vor dem Tod und davor, dass sie der geliebte Mensch verlassen könnte. Es geht immer darum, was man heute aus diesen Stoffen macht.

Wenn man sich so die Spielpläne der deutschen Sprechtheaterbühnen in den letzten Jahre anschaut, ist schon sehr auffällig, dass immer mehr Romanadaptionen auf deutschen Bühnen gespielt werden. Ich stehe aktuell noch unter dem Eindruck von Moby Dick am Thalia Theater Hamburg in der Regie von Antu Romero Nunes. Ein großartiger, sehr körperlicher und von monumentalen Bildern geprägter Abend. Wie siehst Du diese Entwicklung, und wie erklärst Du Dir diese Tatsache?

Meret: In meiner Diplomarbeit habe ich selbst einen Roman für die Bühne adaptiert. „Vollkommen leblos bestenfalls tot“ von Antonia Baum. Der Grund, warum ich mich damals für eine Romanadaption entschieden habe war der, dass ich ein modernes Einpersonen Stück für eine junge Frau gesucht habe. Das ist durchaus schwierig.

Außerdem wollte ich auch was Neues machen, das noch nicht so oft gespielt wurde. Es gibt viele Romane bei denen ich mir denke, Mensch, warum hat das noch niemand gemacht? Der letzte Roman war übrigens „Extrem laut und unglaublich nah“ von Jonathan Safran Foer. Es gibt auch viele Autoren, von denen ich mir ein Theaterstück wünsche wie von Nina Pauer. Tendenziell ist man im Theater immer auf der Suche nach neuen Mitteln und ein Roman bietet sich da gut an. 
 
Was denkst Du eigentlich über die Flut an Publikumsgesprächen an deutschen Theatern? Mir kommen Sie fast immer, wie eine Art subventionierte Schulstunde für erwachsene Bildungsbürger vor. Die Schauspieler, Regisseure oder Dramaturgen versuchen ein Gespräch in Gang zu bringen, und wenn das Publikum sich nach quälenden Minuten endlich aus seiner Konsumentenhaltung befreit, ist es auch schon wieder vorbei mit dem Austausch und die Leute begeben sich enttäuscht Richtung Straßenbahnhaltestelle und Parkhaus.

Meret: Ich finde die Publikumsgespräche sehr wichtig. Klar muss es in einer angenehmen, ungezwungen Atmosphäre stattfinden. Niemand sollte sich gezwungen sehen irgendetwas sagen zu müssen. Es gibt nichts Unangenehmeres als betretenes, peinlich berührtes Schweigen. Für mich geht es im Theater darum, irgendwas im Zuschauer auszulösen. Sei es ein unterhaltsamer Abend, oder ein Denkanstoß. Wenn der Zuschauer dann diesen Katharsis- Moment durchlebt hat, ist der nächste Schritt der Austausch und die Diskussion. Das kann man sehr gut in einem Publikumsgespräch.

Letztes Jahr habe ich in dem Stück „Türkisch Gold“ mitgespielt und wir haben es in Klassenzimmern gespielt. In dem Stück geht es um zwei Jugendliche, die sich mit der Frage beschäftigen, ob eine Beziehung zwischen einem türkischen Mädchen und einem deutschen Jungen möglich ist. Meistens haben wir in Haupt- und Realschulen gespielt. Nach jeder Vorstellung gab es ein Gespräch mit den Schülern. Diese Gespräche waren nicht nur für die Schüler, sondern auch für unser gesamtes Produktionsteam sehr bereichernd.

Vor zwei Wochen bin ich mit dem Zug gefahren und eine junge Frau hat mich angesprochen und gefragt, ob ich nicht damals bei ihnen in der Schule gespielt hätte. Sie hat mir erzählt, dass nach dem Stück und dem Gespräch noch weiter engagiert diskutiert wurde. Jetzt würde sie eine Ausbildung zur Erzieherin machen. Das hat mich sehr berührt. Außerdem ist es für uns Schauspieler auch immer schön ein Feedback zu bekommen. 

Lesen Sie morgen im zweiten Teil unseres Gespächs mit Meret Engelhardt über subventioniertes Theater, moralische Grenzen, Regietheater und über Merets aktuelles Stück. 

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