Direttores Frühkritik zum Tatort "Borowski und die Frau am Fenster"

Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich in den ersten 10 Minuten eines vorherigen Tatort derart amüsiert habe. Eine reife Dame, Tierärztin, mit französisch gerauchter Zigarette, die den Mann ihres Verlangens abpasst zur Musik einer anderen ausgestorbenen Epoche des Stils, Zara Leander. Der Schwarm, ein Motorradpolizist unterwegs in der Prärie Schleswig Holsteins liebt eine osteuropäische Prostituierte. Er findet wenig Beachtung für die in die Jahre gekommene Nachbarin, besagte Tierärztin. Sibylle Canonica spielt die kalküle Täterin gekonnt, stilsicher und authentisch. Nun, das Drama nimmt seinen Lauf. Natürlich bringt sich das Drehbuch in dramaturgische Schwierigkeiten, wenn es den oder die Mörderin schon anfangs bekannt gibt. Ein Mord aus Eifersucht, ein Mord aus kalten Kalkül, der Gegnerin wird sich entledigt, um selbst als Dame in den Fokus zu geraten. Das Drehbuch zeigt seine Stärke in den pointierten Dialogen. Nachdem die karge Wüste Schleswig Holsteins und das triste Dorfleben außerhalb Kiels nicht viel hergeben, ist umso wichtiger, dass die Dramaturgie dieses Tatorts bindet. Axel Milberg braucht man nicht hervorzuheben. Er ist DER Ermittler. Die nötige Zerstreutheit und aufgesetzte Naivität sind ihm gegeben. Perfekte Besetzung. In das biedere Ambiente des Geschehens passt die neue Kommissarin bzw. Kommissaranwärterin Sibel Kekilli, Ex Pornostar und neuer Stern am Deutschen Schauspielerhimmel, erst einmal so gar nicht. Frech, technikaffin und sensibel. Der gekonnte Eye Catcher in der Tristesse des Kommissariats. Warum man sie in diesem Tatort eingedeutscht wird bleibt unverständlich. Gerade in ehrlichen Zeiten der Immigration wäre eine türkische Kommissarin nichts Ungewöhnliches gewesen und hätte der Rolle mehr Facetten geben können. Sie wäre das gekonnte Antidot zu ihrem türkischen Tatort Kollegen aus Hamburg, Mehmet Kurtulus, gewesen. Nun, sie wird hier kurzerhand zur Kommissaranwärterin Sarah Brandt, was der Unbefangenheit und Modernität ihrer Rolle aber keinen Abbruch tut. Das Drama nimmt  nun also seinen Lauf, am Ende wird die einsame schwärmende und vor allem psychopathische Tierärztin überführt bzw. mit einem Schuss von Sarah Brandt aus dem Verkehr gezogen. Vorher wurde im Rahmen des Leichenfunds noch die Leiche der Tochter der Tierärztin geborgen, von der Mutter umgebracht. Man versuchte hier wahrscheinlich die psychopathische Gestalt der Täterin zu unterstreichen. Unnötig. Die Geschichte glänzt nicht durch ihre Komplexität. Sie glänzt durch die Profilsstärke der Darsteller und ihrer Dialoge. Es ist ein waschechter Krimi! Endlich wieder. Der Tatort tendierte in letzter Zeit immer häufiger dazu große sozialkritische Weltthemen bearbeiten zu wollen. Das gelingt ihm nur selten. Die Überzeichnung des moralischen Fingerzeigs wurde demnach überdosiert. Umso erfrischender dieser Tatort aus Kiel von Stephan Wagner mit einer Buchvorlage Sascha Arangos. Richtig abgefahren ist allerdings die musikalische Begleitung. Wer so gekonnt zwischen Zara Leander, Richard Wagner etc. jonglieren kann, auf den warten größere Aufgaben. Chapeau Ali N. Askin!

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