Consigliere Dröfke, Naturwein, Paris, Jura, Domaine de la Tournelle, Stéphane Tissot und die Suche nach dem Ursprünglichen


von Marc Dröfke
Ich weiß, über das Thema „Natur-Wein“ ist schon einiges geschrieben und erzählt worden. Ich will hier auch kein gänzlich neues Fass aufmachen und eine erneute Grundsatzdiskussion vom Zaun brechen. Diese wurde schon zur Genüge auf den einschlägigen Blogs, sowie in den sozialen Netzwerken, zum Teil ziemlich verbittert, geführt und ausgetreten.

Allerdings wollte ich das Thema schon des Öfteren einmal aufgreifen, mir hat aber bisher ein Anlass oder der entsprechende Wein gefehlt. Für den finalen Anstoß dauerte es letztendlich bis zum vorigen Wochenende.

Dieses verbrachte ich in Paris. Was mich besonders fasziniert hat, ist die Tatsache, dass die Franzosen unheimlich locker mit dem Thema Wein umzugehen zu scheinen. Dort wird in den Brasserien, Bistros und Restaurants viel häufiger und irgendwie unkomplizierter konsumiert, wie es bei uns in Deutschland der Fall zu sein scheint. Auch der qualitative Schnitt der dortigen Weinkarten ist unheimlich hoch im Vergleich zu meinen Erfahrungen in deutschen Restaurants.

Weine, die von Winzern stammen, die naturnah oder biodynamisch arbeiten und sich einer nachhaltigen Arbeitsweise im Weinberg verschreiben, gibt es nicht nur in besonders „hippen“ und angesagte Läden wie dem „La Verre Vole“, dem „Septime“ oder dem „Bones“, sondern in einer Vielzahl von Gaststätten und Bars. Dieses „Virus“ hat die ganze Stadt infiziert.

Was aber zeichnet einen „Natural-Wine“ aus? Für mich hat dies Ursula Heinzelmann vor kurzem in ihrem Artikel für die FAZ treffend zusammengefasst:
„Obgleich es weder eine allgemein gültige Definition noch ein offizielles Siegel gibt und der Begriff als solcher auch international umstritten ist (als Alternativen werden „transparent“, „nackt“ oder „lebendig“ gebraucht), lässt sich das Vorgehen der heutigen Naturwein-Winzer etwa so zusammenfassen: keinerlei Chemie im Weinberg, Handlese, schonende Behandlung von Trauben und Most, ausschließlich Spontangärung, keine Anreicherung mit Zucker, weitgehend unfiltriert, weitgehend ungeschwefelt; darüber hinaus gibt es keine Berührungsangst mit Sauerstoff und die Tendenz zu unkonventionellen Gärbehältern wie Amphoren oder eiförmigen Betontanks, um den Weingeschmack so wenig wie möglich zu beeinflussen (was interessanterweise die traditionell in Deutschland gebrauchten „weingrünen“ großen Holzfässer auch nicht tun). Summa summarum lässt sich das als kontrollierter Rückzug des Menschen aus der Weinwerdung beschreiben, ein Ausloten der Möglichkeiten im Weglassen.“

Viele reden von einem „Hype“, einer Übertreibung, einem Irrtum. Ich halte es eher für eine Bereicherung. Eine Umkehr, weg vom Einheitsbrei. Weg von Punkten. Zurück zu den Anfängen des Weins. Ohne Schönung oder Sonstigem. Und ich halte es für eine nötige Entwicklung, weil sie unser aller Geschmacksempfinden erweitert und verändert, neugierig macht und hoffentlich auch toleranter und offener  gegenüber Weinen, die wir nicht gleich auf den ersten Schluck verstehen.

Natürlich gibt es auch negative Ausprägungen, die sich kaum von einer Güllegrube oder einem Kuhstall unterscheiden lassen. Aber hier ist wiederum der Konsument gefragt, sich richtig zu informieren und das Gute vom Schlechten zu trennen. So wie fast überall. Der eigene Geschmack zählt.

Und natürlich sind ist dieses ganze Hickhack um die richtige Bezeichnung des Weins als „Vin-Naturel“, „Orange-Wine“, „Vin Jaune“  oder „Vins Vivants“ unendlich nervig. 

Ich hab mir zu diesem Thema zwei Weine aus dem Jura ausgesucht. Das Weinanbaugebiet Jura liegt  im Osten Frankreichs, ungefähr zwischen Burgund und der Schweiz, und ist als DIE Region in Frankreich bekannt, wenn vom Thema „Natural-Wine“ die Rede ist. Hier werden etwa 2000 Hektar Wein angebaut. Das macht nur etwa 1% der kompletten französischen Anbaufläche aus. Speziell das kleine Städtchen Arbois beherbergt viele Winzer der Region.

Dort ansässig ist die noch relativ junge Domaine de la Tournelle. Sie wurde 1991 von Evelyne und Pascal Clairet gegründet. Angefangen haben die Beiden mit einem kleinen Weinberg, der ausschließlich Chardonnay beherbergte. Mittlerweile bewirtschaften sie etwas mehr als 7 Hektar an Rebfläche.

Das Ehepaar arbeitet schon seit Beginn biodynamisch, eine Zertifizierung erhielten sie aber erst vor 4 Jahren.  Die Trauben für ihren reinsortiger Chardonnay „Terres des Gryphées“ werden stets per Hand geerntet. Die Stiele der Frucht werden vor der Pressung nicht entfernt und kommen mit in die Maschine. Vergärt wird nur mit wilden Hefen. Dann wird der Wein u.a. im 228 Liter großen Fass vergoren. Schwefel wird nur minimal bis gar nicht verwendet.

Im Glas ein hell-goldener Saft, der in der Nase zu begeistern weiß. Ein ganzer Haufen frisch gepresster Zitronen, Mandel, Noten von Sherry, Austernschale, etwas Bratapfel, sowie Bananenschale. Der Wein ist sehr variabel und verändert sich alle 5 Minuten im Glas. Es hilft den Wein vor dem Genuss zu belüften und sich dann nicht zu kalt zu Gemüte zu führen.

Am Gaumen, für einen Chardonnay völlig untypisch, eine laserartige Säure, die ich so noch nie bei anderen Vertretern dieser Rebsorte erlebt hatte. Die Säure ist anfangs sehr vordergründig, integriert sich aber nach einer gewissen Zeit sehr gut in den Wein und gibt den Blick frei auf ein sehr eng gespanntes, vibrierendes, mineralisches Korsett, das den Stoff bis zum mittellangen Finish begleitet.

Ein sehr eigenständiger Wein mit vielen Gesichtern. Und das zu einem relativ humanen Preis, Vergleichbares aus dem Burgund kostet sicherlich das Drei- bis Vierfache. Diese Adresse sollte man sich unbedingt merken.

Der andere Wein stammt von einem Produzenten, der zu den Bekanntesten der Appellation gehört. Die Rede ist von Stéphane Tissot, der zusammen mit seiner Frau Bénédicte viele kleine Paarzellen um Arbois besitzt, die jede für sich ein ganz anderes Terroir bietet. Deshalb können die Weine von Tissot sich sehr unterschiedlich präsentieren. Jeder Wein bietet eine eigene Interpretation der jeweiligen Traube, sowie des Bodens auf dem sie wächst.

Stéphane begann bereits mit zarten 20 Jahren das Zepter im familiären Weingut zu übernehmen. Seit 1992 wurde bereits teilweise biologisch bewirtschaftet, bis 2003 das Weingut sogar vom Demeter Verband zertifiziert wurde. Für Tissot das Mittel, um Trauben „natürlicher“ Qualität zu erzeugen und dabei das normale Gleichgewicht der Pflanzen zu bewahren. Nur gesunde, unbelastete Trauben, ermöglichen Ihm eine präzise Kellerarbeit. Er glaubt daran, dass der Wein im Weinberg gemacht wird und nicht im Keller. Vergoren wird dann ausschließlich mit traubeneigenen Hefen, die Weine werden lange auf der Hefe ausgebaut, dabei wird weitestgehend auf Schwefelung verzichtet.

Die Reben für seinen Pinot Noir „En Barberon“ wachsen auf Kalkstein, das durchschnittliche Alter beträgt 38 Jahre. Für das Jura ist das eine ganze Menge. Von diesem Wein füllte Tissot im Jahr 2011 gerade mal 3300 Flaschen ab. Mein Exemplar stammte allerdings aus dem Jahr 2010, die genaue Anzahl der Flaschen ließ sich hier allerdings nicht ermitteln. 

Ins Glas fließt ein heller roter Wein, der ein wenig an roten Johannisbeersaft erinnert. Aromen von Zimt, Nelke und Spekulatius strömen neben der roten Frucht von Erdbeere und etwas Weichsel aus dem Glas. Bemüht man das Riechorgan noch etwas mehr, dann fällt mir noch rotes Fleisch, kalter Rauch und eine an Eisen erinnernde Komponente auf.

Am Gaumen sehr delikat und eher leicht, ohne dabei zu dünn oder gar wässrig zu wirken, denn die sehr agile Säure stellt eine wunderschöne Frische her und hält den Wein so im Gleichgewicht. Vielleicht fehlt der allerletzte Druck am Gaumen, aber ich denke das ist hier nicht von Nöten. Der Wein wirkt sehr gut ausbalanciert und kann zu Speisen meines Erachtens nach mehr glänzen als als Solist.

Abschließend gilt es noch zu erwähnen, dass diese Weine sehr eigenständig sind und sicherlich auch nicht „Everbodys-Darling“ sein wollen. Man muss sich tiefer mit ihnen beschäftigen und auch beschäftigen wollen. Das kann sich lohnen. Versprochen.

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