Im Gespräch mit unserem Blog-Sommelier Alfred Voigt! His Masters unbequeme Voice!

von Michael Jetter

Seit einiger Zeit bereichert Alfred Voigt, Sommelier und seit Jahrzehnten in Sachen Wein unterwegs, unseren Blog. Seine von Erfahrung geprägten vinophilen Meinungen und seine Insider Weintipps, bereiten uns sehr viel Freude. Aber wer ist dieser Alfred Voigt eigentlich und wenn, wie viele Flaschen?

Nach einer ziemlich weinfreien Jugend nach Abitur und Zivildienst im Krankenhaus, absolvierte Alfred ein Studium für Lehramt für Geschichte und Sozialwissenschaften in Köln und Wuppertal. Ohne Abschluss. In den 80ern wurden eh fast keine Lehrer eingestellt. Danach studierte er Erziehungswissenschaften in Düsseldorf mit Abschluss! Aber auch Diplom-Pädagogen wurden zu dieser Zeit kaum benötigt. Ein Teufelskreis! Deshalb schulte Alfred zum Koch bei Henry Bach um und war danach für Heiko Antoniewicz und Monika Wechsler im Hotel Résidence in Essen Kettwig tätig. 

Anschließend wechselte er in den Service zu Herrn Bühler als Sommelier durch das klassische „Learning by Doing“. Eine Sommelier-Ausbildung gab es damals noch nicht. Also machte Alfred sich auf Weinreisen, jedes Wochenende und fragte den Winzern in Deutschland Löcher in den Bauch. Später weitete er dies dann auf Europa und auch auf Übersee aus.. Frankreich sicherlich als Schwerpunkt, aber auch Spanien, Österreich, Italien und Portugal, sowie Kalifornien, Südafrika und Neuseeland. 

28 Jahre blieb Alfred Voigt im Residence. Bis das Hotel/Restaurant seine Tore für immer schloss. Inzwischen arbeitet er reduziert, aber regelmäßig, in der Weinbar Emma 2 in Essen Rüttenscheit bei Rainer Podzuck. 

Seine Ehrungen können sich sehen lassen: Förderpreis "Pro Riesling", Sommelier des Jahres im Gault-Millau, Finalist der Trophée Ruinart nach lediglich 2 Jahren Tätigkeit im Restaurant. 

Zudem Autor für Zeitschriften wie "Alles über Wein" oder "Sternklasse". Nach wie vor ist Alfred immer unterwegs zu den Produzenten, seien es alte Kontakte oder junge Talente, spannenden Weinmessen oder Präsentationen.

Michael Jetter: Alfred zum Einstieg muss ich Dich gleich auf Deine intensive Weinreisetätigkeit ansprechen. Ich sollte Dich besser auf Eure Reisetätigkeit ansprechen, denn Deine Frau Susanne Spies hat ja den gleichen Beruf wie Du, und ihr seid ja immer gemeinsam unterwegs. So wie ich das mitbekomme, geht es bei Euch fast jeden Sonntag/Montag in ein Weinbaugebiet, um vor Ort insbesondere die Geheimtipps zu identifizieren, die oft nicht im Fokus der Weinwelt stehen. Welche Weinbaugebiete sind denn für Dich mit diesem riesigen Erfahrungsschatz noch immer hoch emotional, und vor allen Dingen warum?

Alfred Voigt: Emotional für mich ist eigentlich jeder Wein, der Spannung besitzt, nachhaltig ist und ausgewogen. Solche Weine gibt es sicher in (fast)jeder Region. Die Franzosen sagen "njac" dazu. Am spannendsten sind ja meist die Regionen, die kurz vor dem "Durchbruch" stehen, d.h. sie haben Entwicklungen verschlafen oder waren so sehr gefragt, dass die Qualität verloren ging. Durch den wirtschaftlichen Niedergang oder einen Generationswechsel bahnt sich dann oft ein qualitativer Quantensprung an. Wo das zur Zeit der Fall ist, möchte ich eigentlich nicht verraten. Beispiele früherer Zeiten wären der französische Jura vor 10-15 Jahren, wo endlich das große Potential der alten Reben in tollen Lagen entdeckt wurde. Sancerre und Pouilly vor ca 20 Jahren als man sich an die großen alten Weine von den Brüdern Cotat und Edmond Vatan erinnerte. So überwand man  teilweise die langweiligen Fruchtsauvignons. Sicherlich auch das Beaujolais, welches durch den Rausch des Primeurs völlig am Boden lag. Dort wird man in der nächsten Zeit viel hören von den höheren Lagen des Beaujolais-Villages mit ihrem alten Rebbestand. Aber wie gesagt, wenn man sucht, findet man überall außergewöhnliche Weine.

Michael Jetter: Ich weiß von Dir, dass Du ganz gezielt in sogenannten schwächeren Jahrgängen nach aufregenden Weinen suchst. Ich verstehe natürlich, dass viele sogenannte Weinexperten manchen Jahrgang förmlich denunzieren, und andere Jahrgänge unglaublich in den Himmel loben. Aber was genau treibt Dich an, diesen Schönheiten aus vermeintlich schwachen Jahrgängen nachzuspüren?

Alfred Voigt: Deutsche Rieslinge aus 2008, 2004 oder 2010 besitzen in der Spitze irgendwie mehr Spannung, sind interessanter, auch für die Lagerung. Der zu Beginn hochgelobte 2009 oder auch 2015 kann in der Struktur sehr weich sein, was ich beim Riesling persönlich gar nicht schätze. Das hat natürlich auch viel mit der Winzerpersönlichkeit zu tun. In schwierigen Jahrgängen verstehen es die Guten besser, das optimale aus den Trauben rauszuholen. Ich würde da aber auch nicht alles über einen Kamm scheren. Das was wir bislang zum Beispiel aus 2018 probiert haben, ein eigentlich viel zu warmer Jahrgang für Riesling und andere weiße Rebsorten, ist sehr vielversprechend. Sensible Winzer haben aus dem Klimawandel gelernt und passen sich in der Weinbereitung an. Die Zeit der ausdruckslosen Alkoholbomben scheint sich dem Ende zuzuneigen.

Michael Jetter: Was ist eigentlich die Aufgabe eines sehr guten Sommeliers. Wie verstehst Du Deinen Beruf, der bei Dir ja wohl eher eine Berufung ist!? Ich habe vor ein paar Monaten einen Kommentar eines "Gastrorekrutieres" gelesen, der für die gehobene Gastronomie Arbeitskräfte vermittelt. Der Tenor seiner Aussagen im Bezug auf den Beruf des Sommeliers war, dass eben dieser am Aussterben sei, da sehr viele Restaurants mittlerweile eher auf eine junge Restaurantleitung mit guten Weinkenntnissen setzen würden. Es geht also um Kosten und Effizienz, logisch in unserer aktuellen Leistungsgesellschaft, aber damit geht doch die Attraktivität eines guten Restaurants auch verloren, wenn das Thema Wein mehr oder weniger nur am Rande eine Rolle spielt. Das wäre doch in Frankreich in dieser Form unvorstellbar, oder sehe ich das einfach falsch?

Alfred Voigt: Der Trend ist eindeutig: Gastronomen wollen nur noch Restaurantleiter, die auch den Weinverkauf mit abdecken. Das habe ich bei der Jobsuche selbst erfahren müssen. Was Gastronomen häufig unterschätzen ist, dass man sich mit einer guten Weinauswahl auch einen Namen machen kann und für ihn/sie noch wichtiger: man kann damit auch Geld verdienen. Der Unterschied zu Frankreich ist offensichtlich. Dort beginnt die Ausbildung ganz früh und nicht erst wie in Deutschland nach einer anderen Ausbildung. In Frankreich ist der Sommelier selbstverständlich. In Deutschland gab es einen Hype ab Mitte der 80er Jahre. Das hat sich deutlich abgeschwächt, vielleicht auch, weil die Weinbegleitung sehr oft angenommen wird. Viele Sommeliers haben es vielleicht auch übertrieben, eingekauft ohne Ende und nur nach dem eigenen Geschmack, sich dann relativ schnell wieder verabschiedet, wenn es nicht so funktioniert hat, wie man es sich vorgestellt hat. Der Patron stand dann vor den teuren "Resten". Er wird bei der nächsten Einstellung dann vorsichtiger sein. Man braucht ja auch keine Karte mit 2000 Positionen. Man muss auch nicht alle Anbaugebiete der Welt abdecken. Reine Alibipositionen, nur damit Kalifornien auf der Karte auftaucht sind überflüssig. Auch die Vorstellungen der Gäste müssen einbezogen werden. Wer ausschließlich sogenannte Orange-Weine anbietet, wird damit auf die Dauer scheitern. Wichtig ist Leidenschaft für die ausgesuchten Weine und sicher auch immer eine kleine Geschichte dazu. Das kommt bei den meisten Gästen immer gut an.

Michael Jetter: Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn ich an Dein Burgund Buchprojekt aus den frühen neunziger Jahren denken muss. Ihr wart offensichtlich so detailverliebt, dass Ihr nach unzähligen Anreisen immer noch nicht über das Maconnais hinausgekommen seid, weil Ihr wirklich jedes Weingut besucht habt, und schließlich freimütig einräumen musstet, dass das Buch in Vorzeiten eines handelsüblichen Computers so niemals realisiert werden kann. Wer ist in diesem Kontext eigentlich wir? Wer war bei diesem Projekt Dein Partner?

Alfred Voigt: Das war Andreas Deutzmann, der damals zum Kreis der Händler um Neumann und Moesle in Mönchengladbach gehörte. Er hat ein unglaubliches Gespür für gute Burgunder und hat fast noch mehr Leidenschaft für Wein als ich. Übrigens hat er damals die Domaine Mugnier in Chambolle entdeckt - heute absolute Kultweine und kaum noch zu bekommen. Er betreibt jetzt einen Weinladen in Bonn.

Michael Jetter: 28 Jahre Residence in Kettwig. Eine superlange Zeit. Wie schaust Du auf diese Jahre mit dem jetzt existenten Abstand zurück? Was waren die Gründe, dass Du Dich in dieser Zeit nicht einmal beruflich verändert hast, sondern ein Teil des Teams von Berthold Bühler die ganzen Jahre geblieben bist? Und klar, ein paar lustige Anekdoten bzw. einschneidende Erlebnisse aus dieser Zeit würden die Leser der Gazzetta del Vino ganz sicher interessieren.

Alfred Voigt: In den Jahren habe ich mich natürlich öfter gefragt, willst du etwas anderes machen. Auch an Selbständigkeit haben meine Frau und ich mehrmals gedacht. Irgendwie kam aber nie die wirklich spannende Aufgabe, die mich zum Wechseln gebracht hätte. Zudem hatte ich bei der Weinauswahl freie Hand innerhalb der wirtschaftlichen Grenzen. So konnte ich meine Weinleidenschaften immer ausleben und die Gäste daran teilhaben lassen. Das war sicher das schönste an dieser Zeit. Sicher gab es auch eher schwierige Gäste, die aus einem Baron de L oder einem Gräfenberg von Weil eine Schorle machten. Da schluckt man halt, dreht sich um und macht weiter. Auch habe ich mich mal geweigert, einen Gast weiter zu beraten, als er nach der dritten Flasche, die er probiert hat wieder ablehnte. Der (offensichtlich) angetrunkene Gast war so konsterniert von meiner Reaktion, dass er den letzten probierten Wein getrunken hat, ohne auch nur zu murren. Vielleicht noch kurz zu einem Weinabend mit Dr. Manfred Prüm: Nachdem das Menü beendet, die üblichen Sitzenbleiber sich auf der Terrasse um Herrn Prüm versammelt hatten, kam sein berühmter Koffer mit den Spezialitäten auf den Tisch. Die Zeremonie zog sich bis drei Uhr morgens hin. Alle waren eigentlich glücklich. In den nächsten Tagen bekamen wir Post vom Ordnungsamt Essen. Wir mögen doch bitte dafür sorgen, dass spätestens gegen 22 Uhr die Terrasse geräumt ist. Bei Zuwiderhandlung droht eine Strafe bis zu 20.000 DM. So hatte dieser wunderschöne Weinabend doch drastische Folgen für die Gäste.

Michael Jetter: Ich danke für das Gespräch!

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