Naturwein, Amphore, Schwefelfrei, Kulturprodukt, unser Blog-Sommelier Alfred Voigt kommentiert

von Alfred Voigt

So ist das halt, wenn man sich positioniert und versucht, die Raw-Wein Bewegung mal etwas aus der Distanz zu bewerten: man erntet viel Bestätigung und viel Widerspruch. Schön eigentlich... eine Diskussion darüber angefacht zu haben. 

Bei meinem Beitrag ging es mir nicht um die Unterscheidung von Maischegärung weiß/Amphore/Schwefelfrei/Maischestandzeit/Betonei usw….Das war nicht das Thema. Es ging darum, dass der Ausbau im Keller ganz allgemein zur Nivellierung von Lage und Rebsorte führen kann. Vielleicht kann ich hier versuchen dies nachzuholen. Aber moment mal, zuerst sollte man ja eigentlich definieren was das ist: Naturwein, Raw, Orange usw.. 

Natur geht ja schon mal gar nicht, Wein ist ein Kulturprodukt des Menschen. Aus wildem Wein kann man meines Wissens nach keinen Wein produzieren. Pflanzenschutz ist ja auch schon ein Eingriff, nicht unerheblich. Ist der Einsatz von Schwefel und Kupfer im biodynamischen Weinbau auch schon zu viel? Maischestandzeit, Maischegärung bei Weißwein, Gär- und Ausbaubehältnisse, was ist natürlich, eigentlich doch Edelstahl, da er keinen Sauerstoff an den Wein lässt? Ist das entrappen von Rotwein schon „unnatürlich“? Auch Schwefel ist nach der Gärung in geringen Mengen sowieso im Wein. 

Fragen über Fragen und es gibt da sicher keine klaren Grenzen und Unterscheidungen. Eigentlich ist mir das auch egal, was zählt, ist das Ergebnis: ein charaktervoller, vielschichtiger und nachhaltiger Wein, mit dem es Spaß macht, sich auseinanderzusetzen, oder der auch manchmal einfach nur lecker und trinkfreudig ist. Das ist der ursprüngliche Sinn des Weines. 

Nun ist es ja häufig so, dass eine Veränderung in der Weinbereitung ja oft auf starke Zustimmung trifft, die dann die herkömmlichen Methoden als unzulänglich herausstellt. Maischestandzeit, Amphore und oder schwefelfrei sind der Maßstab aller Dinge, aber Maischegärung der Maischegärung wegen hat keinen Sinn, zu einem guten Wein gehört mehr. Aus der Distanz betrachtet ist dies natürlich Unsinn und mit der Zeit relativiert sich das sowieso. 

So macht Ott beispielsweise keinen Amphorenwein mehr, Pacalet setzt auch Schwefel dem Wein zu und in unserer Lieblingsweinbar in Vaison-la-Romaine in der Provence, die vor 5 Jahren noch ausschließlich schwefelfreie Weine angeboten hat, gibt es inzwischen auch geschwefelte! 

Was bleibt also: Diese neuen/alten Methoden haben ja Einzug gehalten in den „konventionellen“ Weinbau. Foradori hat einen kompletten Holzfasskeller mit Amphoren bestückt, renommierte Winzer wie Fritz Keller geben ihren „normal“ ausgebauten Weinen auch einige Fässchen Maischvergorenen hinzu und die Schwefelgehalte der meisten Weine wurden deutlich verringert. Daneben gibt es sicher nicht wenige Winzer, die mit ihrer sensiblen und gekonnten Art Weine kreieren, oder wachsen lassen, die möglichst wenige Eingriffe durch ihn erfahren. 

Hiervon würde ich gerne im Folgenden einige vorstellen. 

2017 Mesum Weingut Pisoni Trentino 
Zunächst ein höchst ungewöhnliches Projekt vom Weingut Marco und Stefano Pisoni aus dem Trentino. In einem Fresco des Torre dell‘Aquilla aus dem 14.Jahrhundert im Trentino wird die Weinbereitung zu dieser Zeit in allen Einzelheiten dargestellt. Auf Grundlage dieser Bilder haben die Brüder Pisoni die Bedingungen geschaffen, um möglichst 1:1 einen Wein zu kreieren, wie er damals wohl gemacht worden ist. 

Die Weinbergsterrassen wurden so angelegt wie beschrieben mit wurzelechten Reben einer Sorte aus der Muskatellerfamilie. Die Trauben wurden von Damen mit den Füßen eingemaischt, in Terrakottaamphoren vergoren und gereift und schließlich in einer nachgebauten Holzpresse in der Osterwoche gepresst und abgefüllt in 0,5 Literfläschchen. 2017 ist der erste Jahrgang eines finessenreichen, aromatischen Weines mit zartem Muskataroma und feiner Extraktsüße. Absolut gelungenes Experiment. (18€/0,5lEVP) Vom selben Weingut ein ungeschwefelter Teroldego genannt Gobbo Rosso, auch Jahrgang 2017. Spannender Vergleich zu den Amphoren-Teroldegos von Foradori aus der Nachbarschaft. Ätherisch in der Nase, rote Früchte und Schalenobst. Am Gaumen sehr fein und zurückhaltend. Die roten Früchte bestätigen sich, hinzu kommt Würze und belebende Säure, sehr trinkanimierend (12,5%Alc). Feiner, eleganter und nachhaltiger Wein, dem man den fehlenden Schwefel nicht anmerkt. (ca.15€) 

2017 Trollinger Alte Reben Weingut Schnaitmann Württemberg 
Also die Schwaben haben mich in den letzten Jahren schon sehr überrascht. Was Aldinger, Dautel, Schnaitmann, Wachtstätter und Co aus ihren Rebsorten so rausholen, ist schon toll. Schnaitmann schießt dieses Jahr jedoch den Vogel ab: 2017 Trollinger Alte Reben ungeschwefelt! Was für ein charmanter, fruchtiger Wein mit einer wunderbaren Frische, Mineralität und Struktur. Ich fühlte mich an besten Beaujolais erinnert (was sich auch durch die Ganztraubengärung erklärt). Der Wein ist ungeheuer sinnlich, nicht groß, aber einfach perfekt in seiner Art und jeder Tropfen macht Lust auf den nächsten Schluck. Gewachsen auf Gipskeuper mit lediglich 12,5% Alkohol von 30-45jährigen Reben, spontanvergoren, Ausbau in alten 300l Fässern und biologisch zertifiziert.(ca.12€) 

Die Steillage von Wachtstätter ist schon super, auch die alten Reben von Dautel und besonders der 16er Trollinger von Aldinger genannt Gipfelstürmer, (hätte ich hier auch gerne vorgestellt, ist aber wohl nicht mehr verfügbar) ausgebaut als Experiment wie ein Pinot machen große Freude. Diese Rebsorte hat allen Schimpftiraden zum Trotz eine Daseinsberechtigung, nicht nur für Württemberg. 

Kleiner Tipp nebenbei: die Rotweine von Wolfgang Alt in Neipperg. Immer noch ziemlich unbekannt, aber sehr eigenständig und großartig. Als Spezialität gibt es auch eine kleine Menge Nebbiolo- durchaus probierenswert.

2014 Areni Noir Karasi und 2014 Areni Noir Yeraz Weingut Zorah von Zorik Gharibian Armenien 
Eine märchenhafte Geschichte: der Sohn ausgewanderter Armenier reist 1999 in die Heimat seiner Eltern. Die Weinbaugeschichte des Landes am Osthang des Berges Ararat beeindruckt ihn sehr und er beschließt, dort ein Weingut zu gründen. Gepflanzt wurde für den Rotwein die Rebsorte Areni Noir, es gibt aber noch Reste alter Rebflächen mit 100jährigen Reben, die er auch bewirtschaften kann. Auf kalkhaltigen, sandigen und steinigen Böden gedeihen die Pflanzen bis auf eine Höhe von 1600 Metern. Die Höhenlage garantiert große Temperaturschwankungen und sorgt somit für aromatische, frische Weine. 

Der Areni Noir Karasi gärt in Betontanks und reift dann in klassischen Amphoren, die zum Teil von Bauern aus der Umgebung stammen und restauriert worden sind. So entsteht ein würziger Wein mit viel roter Frucht, kräutrigen Aromen, feinkörnigem Gerbstoff und ausgewogener Frische. Sehr europäisch, aber doch mit eigenen Akzenten. (ca 20€) Dann gibt es noch eine Vieilles Vignes Version, die von 100jährigen Reben auf einer Höhe von 1600 Metern erzeugt wird. Da ist natürlich noch viel mehr Konzentration und Dichte drin, der Wein ist aber noch recht verschlossen und man muss abwarten, wie er sich entwickelt. (ca 95€) 

2011 Pithium rot Weingut von Bassermann-Jordan Pfalz 
Noch ein toller Amphorenwein, diesmal aus der Pfalz von der Rebsorte Cabernet-Sauvignon. Uli Mell, der Chef de Cave im Weingut hat ja schon viele Jahre bewiesen, welch sensibler und präziser Weinmacher er ist. So wundert es mich auch nicht, dass er gleich im ersten Jahrgang 2011 aus Cabernet und Amphore ein exzellentes Tröpfchen hat bereiten können. Die Trauben wachsen in Ruppertsberger Toplagen auf sandigem Lehm und Buntsandsteinverwitterung. Hochreife und gesunde Trauben wurden geerntet, von Hand entrappt und von Hand gequetscht!! Die Maische kam dann in 230 Liter Tonamphoren, die in Spanien produziert wurden. Der Most wurde regelmäßig überschwallt während der Gärung und blieb bis April 2012 in der Amphore, wurde dann noch 6 Wochen auf der Feinhefe im Holzfass zur Klärung gelagert und anschließend abgefüllt. Super konzentrierte Frucht, Kirsche und Schwarze Johannisbeere. Charaktervoll, tiefgründig und nachhaltig, ganz spannend. Ist jetzt ziemlich auf dem Punkt, hält dies aber sicher noch über Jahre. Nachfolgejahrgang 2015 49. Restflaschen und Magnum 2011 in der Schatzkammer – Verhandlungssache! 

2016 Weißburgunder Brigid Birgit Braunstein Burgenland 
Oft haben wir uns schon gefragt, ist der Weißburgunder eine wirklich große Rebsorte oder nicht? Die Elsässer haben sich ja dagegen entschieden und ihr keinen Grand Cru Status zugebilligt. Trotzdem gibt es in letzter Zeit einige Exemplare, die aufhorchen lassen. Neben Kirchberg von Salwey, Gras im Ofen von Heger oder Mandelberg von Wehrheim hat uns der Pinot Blanc Brigid von Birgit Braunstein aus dem Burgenland besonders gefallen. Der Name kommt von der keltischen Göttin des Lichtes und die Reben wachsen auf der Schieferlage Edelgraben im Leithagebirge unweit eines keltischen Kraftortes. Maischestandzeit von 21 Tagen, danach ein Jahr Lagerung ohne Schwefelzugabe in gebrauchten 500 Liter Fässern auf der Vollhefe. Durchgegoren mit poentierter Säure präsentiert er sich mit Aromen von Marzipan, Grafit, Haselnussmus und weißen Blüten. Mineralisch mit einer deutlichen Portion Gerbstoff und schönem Nachhall. Ein absoluter Essenswein zu gebratenem Fisch oder kräftigen Gemüsegerichten (Ratatouille). Sehr viel Wein bei lediglich 12,5% Alkohol. 29,50€ 

Es gäbe sicher noch eine ganze Reihe anderer Weine, bei denen es sich lohnen würde, sie hier zu präsentieren. Beispielsweise die ungeschwefelten Weine von Huillon-Overnoy aus dem Jura, weiß und rot, die ich besonders liebe, übrigens schon seit dem Jahrgang 1999! Ich möchte es aber dabei belassen um exemplarisch zu zeigen, dass es tolle „Naturweine“ gibt, die auch einem Freund von Rebsorte und Lage gefallen können.

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