Michel Houellebecq unterwirft sich in Bochum - Michael Jetter über religiöse Bigotterie
von Michael Jetter
Ich stehe immer noch unter dem Eindruck eines Publikumsgespräches im Anschluss an die Aufführung des Stückes Unterwerfung von Michel Houellebecq am Schauspielhaus Bochum. Üblicherweise meide ich diese Publikumsgespräche, weil sie mich zu sehr an meine Schulzeit erinnern.
Das Publikum erwartet im Prinzip, dass die Schauspieler sie noch einmal
30 Minuten gratis unterhalten, und ein wirkliches Gespräch kommt eigentlich selten zustande. An diesem Abend war es aber doch anders, und auf der Heimfahrt habe ich für mich erst so richtig verstanden, welche Frage dieser Abend eigentlich stellt, doch zu dem Verlauf dieses Publikumsgesprächs später mehr.
Vordergründig geht es in dem 2017 in Belgien von Johan Simons (neuer Intendant Schauspielhaus Bochum) uraufgeführten Stück um den Pariser Literaturwissenschaftler Francois, ein Mann mittleren Alters, der nach dem Sieg des französischen Präsidentschaftskandidaten Mohamed Ben Abbès, der für die gemäßigte Bruderschaft der Muslime angetreten ist, vor der Entscheidung steht, ob er zum Islam konvertieren soll, um wieder an seiner Universität lehren zu dürfen.
Francois war nie sonderlich ehrgeizig, eher ein einsamer Wolf, der sich mit guten Weinen, bevorzugt Chablis, und vor allen Dingen wechselnden Frauengeschichten durch das Leben geschlagen hat.
Religion spielte in seinem Leben überhaupt keine Rolle. Nach der Präsidentschaftswahl ist er von heute auf morgen arbeitslos, da er durch die neue muslimische Universitätsleitung der Sorbonne als Nichtmuslim unverzüglich bei voller Rente in den Ruhestand verabschiedet wird.
Die nach dem Wahlsieg Mohamed Ben Abbès jetzt aus Saudi Arabien finanzierte Universität wirbt aber weiterhin um seine Dienste, bauchpinseld diesen durchschnittlichen französischen Professor immer wieder mit phantasischen Gehaltsangeboten, aufregenden Forschungsprojekten, und der legalen Aussicht auf ein polygames Leben mit mehreren Ehefrauen, eine Vorstellung, die den gelangweilten Schwerenöter Francois naturgemäß ungemein reizen muss.
Es geht für mich im Grunde in diesem Stück um die Frage, für welche Werte die sogenante westliche Welt eigentlich steht, und ab welchem Moment man bereit ist, sich einer neuen Kostellation zu unterwerfen, um weiterhin gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Reputation erfahren zu können. Es geht also um Anpassung oder Haltung, um Eitelkeit oder Überzeugung.
Francois entscheidet sich final, wie nicht anders bei Houellebecq zu erwarten, für die durch die Universität eingeforderte Konversion zum Islam, und damit letztendlich für die Akzeptanz der landesweit eingeführten Scharia.
Und an diesem Punkt sind wir jetzt wieder am Ausgangspunkt meines Textes, des schon erwähnten Publikumsgespräches. Die Schauspieler um den großartigen Hauptdarsteller Stefan Haunstein kamen dabei auf die damalige Uraufführung in Gent zu sprechen, und mit Mourade Zeguendi ist in Bochum auch ein belgischer Schauspieler mit muslimischen Wurzeln in das Stück involviert, der schon in Gent ein Teil des Ensembles war.
Johan Simons wollte die Konversion von Francois zum Islam als Nacktszene spielen lassen, ganz sicher nicht der Provokation wegen, sondern weil auf diese Weise aus meiner Sicht die Kreatürlichkeit und Einsamkeit von Francois auf ideale Weise nachvollziehbar werden kann, ein wirklich starkes Bild, auch in der letztendlich entschäften Version, die in einer schlabbrigen Feinripp Unterhose gespielt wurde.
Während der damaligen Probe, so erzählten die Bochumer Schauspieler, äußerte Mourade Zeguendi gegenüber Simons seine große Befürchtung, dass eben diese Nacktszene zu Aufruhr unter muslimischen Fanatikern führen könnte, und er Angst um sein Leben hätte, wenn diese Szene genau so gespielt werden würde. Das ist für mich auch deshalb erwähnenswert, weil Mourade Zeguendi diese Nacktszene ja überhaupt nicht selbst spielen sollte.
Aus völlig verständlicher Rücksicht auf seinen Schauspieler, wurde diese Szene dann durch den Regisseur Simons, mit Hilfe der schon angesprochenen Unterhose entschärft.
Und trotzdem lässt mich diese sehr menschliche und offensichtlich notwendige Entscheidung nicht mehr los. Die oben im Stück theatralisch umgesetzte Unterwerfung von Francois unter die neue muslimische Universitätsführung ist eine persönliche Entscheidung, die man nicht gut finden muss, die aber ein Mensch letztendlich aus freien Stücken für sich getroffen hat.
In Gent musste sich aber ein Ensemble zu einer künstlichen Änderung Ihrer Arbeit entschließen, um vorsorglich das Leben eines Kollegen zu schützen. Das ist für mich die eigentliche Unterwerfung, wie selbst ein Michel Houellebecq sie sich kaum hätte einfallen lassen können. Nach der Schilderung dieses damaligen Entscheidungsprozesses, und der etwas unbeholfenen und mich irrtitierenden Erklärung durch das Bochumer Ensemble, dass es ja letztendlich in Ordnung sei, auf religiöse Gefühle Rücksicht zu nehmen, war ich doch etwas sprachlos, wie der religiöse Fanatismus schon in unseren Köpfen angekommen ist, und wir in vorauseilendem Gehorsam seinen Regeln folgen.
Noch einmal, ich hätte an Johan Simons Stelle aus Verantwortungsgefühl für mein Ensemble nicht anders entschieden, aber es macht mich ungemein traurig, wenn ich an einem konkreten Beispiel aus der Welt des Sprechheaters zur Kenntnis nehmen muss, wie religiöse Fanatiker mittlerweile schon Einfluss auf die Kunst nehmen können, ohne auch nur im Publikum zu sitzen.
Diese Situation in Gent, könnte der Stoff für ein neues Stück sein, das genau diesen Zwiespalt zwischen Empathie für religiöse Gefühle und der Freiheit der Kunst thematisiert, letztendlich unser aller Freiheit. Es geht aus meiner Sicht hier wirklich um elementare Werte einer freien Gesellschaft, und die weiße Feinripp Unterhose ist aus meiner Sicht sinnbildlich für die eigentliche Unterwerfung an diesem Abend in Bochum zu sehen.
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