HebeBühne - der Theater Blog - Leute, geht mehr ins Theater! - ein flammendes Plädoyer von Michael Jetter

Front / Thalia Hamburg / Regie Luk Perceval 



Eine unmißverständliche Aufforderung von Michael Jetter

Ich möchte an dieser Stelle ein kurzes und sehr bewusstes Plädoyer für die deutschsprachigen Staats,- Stadt- und Landestheater abgeben. Sonntag für Sonntag sehen wir wunderbar ausgebildete Theaterschauspieler im Tatort, wir können erahnen, welches Potential in Ihnen steckt, werden aber immer wieder von schwachen Drehbüchern, mutlosen Regisseuren und langweiligen Plots daran gehindert, die Größe einiger Protagonisten zu spüren und zu erfahren. 

Ok, dass stimmt natürlich nicht generell, siehe letzter Tukur Tatort, aber über viele Jahre hinweg, habe ich so viele unfassbar langweilige TV Produktionen gesehen, dass ich an dieser Stelle kein anderes Urteil abgeben kann und es auch nicht mag.

Ich sage nicht, dass es auf der Bühne keine schwachen, oder belanglosen Abende gibt. Es gibt viel zu viele davon, aber man geht ja auch für die Magie des Augenblicks in das Theater, für einen Moment Wahrheit, wenn der Schauspieler nicht mehr als Schauspieler erkennbar ist, wenn die Rolle keine Rolle mehr ist, und wenn das Bühnenbild sich in Realität auflöst.

Platonov / Akademietheater Wien / Regie Alvis Hermanis 
Diese Momente sind trotz aller Qualität sehr selten und man darf auch nicht mit dem Anspruch in das Theater gehen, sie sofort erleben zu wollen. Sie ergeben sich einfach, sind plötzlich da, und in diesem Moment ist im Saal etwas spürbar, was ich hier als Wahrheit bezeichnen möchte, als ein magischer Moment, der nachwirken wird, und der glücklich machen kann.

Das Theater hat natürlich, auch durch sehr ordentliche Subventionen erst ermöglicht, den großen Vorteil, etwas auszuprobieren und das Scheitern als Option einkalkulieren zu können. Über die vielen großartigen Off Theater Produktionen spreche ich bewußt an dieser Stelle nicht, es würde den Rahmen, dieses kurzen Einwurfs sprengen.

Abend für Abend wird eine Geschichte aufs Neue erzählt, die Schauspieler können, in zum Teil sehr langen Sequenzen, einer Figur Kontur und Plausibilität verleihen, sie können gemeinsam mit ihren Mitspielern eine Intensität erzeugen, die das Medium Film in der Figurenzeichnung nur selten hinbekommt.

Wie oft schon war ich nach einer Inszenierung unberührt, konnte mit ihr nur wenig anfangen, aber da war das hysterische und rythmische Spiel einer Sophie Rois, die Hintergrundmusik einer Thalheimer Inszenierung, da war ein Kunstwerk von Bühnenbild, und da war ein traumhaft schönes Theater in Dresden oder Wien. Insofern habe ich noch nie einen Theaterbesuch radikal bereuen müssen. Ok, doch, die ganzen Yasmina Reza Abende, aber mit kleinbürgerlichen Selbstreflexionen halte ich mich nicht lange auf.

Eine Inszenierung geht nicht immer auf, dafür sind alle Beteiligten auch zu sehr im Lieferdruck, an manchen Theatern werden Stücke irrerweise nach sechs Inszenierungen wieder abgesetzt, bzw. es waren nur sechs Vorstellungen eingeplant. Das werde ich so nie verstehen und das muss ich ja auch nicht.

Maria Magdalena / Burgtheater Wien / Regie Michael Thalheimer
Es gibt aber auch an vielen Häusern die Langläufer, teilweise über 10 Jahre werden sie immer wieder ins Programm genommen, weil sie Qualität haben, weil sie groß sind und weil sie vom Publikum geliebt werden. Zwei gute Beispiele sind hier der Hamlet an der Schaubühne mit Lars Eidinger oder Onkel Wanja am Deutschen Theater mit Ulrich Matthes, vom längst verstorbenen Regisseur Jürgen Gosch, aber es gibt viel mehr davon, auf www.nachtkritik.de kann man sich einen hervorragenden Überblick der aktuellen deutschsprachigen Theaterszene verschaffen.

Der entscheidende Unterschied zum Film ist wohl, dass im Theater der Phantasie naturgemäß viel mehr Platz eingeräumt wird. Viele der Protagonisten sind privat sehr scheu, aber auf der Bühne begeben sie sich auf die Suche, wollen verstehen, offenlegen und auch verführen. Es bedarf keiner realistisch abgebildeten Räumlichkeiten, viele große Momente entstehen auf fast völlig leergefegten Bühnen. Die Phantasie macht den Unterschied. Über zwei Stunden zu verfolgen, wie ein Gert Voss, Gott habe ihn selig,  sich in die Rolle eines völlig vereinsamten und egomanen Schauspielers hineinspielt, dass ist nur als Kunst zu bezeichnen. "Einfach kompliziert" ist ein eigentlich unspielbares Einpersonenstück von Thomas Bernhard, aber ein Gert Voss ist eben in der Lage, auch dieser Figur ihre Würde zu belassen und einen fast leergeräumten Raum für sich einzunehmen.

"Die Wünsche aufgegeben / aber mich selbst habe ich nicht aufgegeben / Wir schulden niemandem etwas / Alle schulden uns alles / aber wir schulden niemandem etwas." Zitat aus Einfach kompliziert.

Wenn dieses Plädoyer zur Folge haben sollte, dass sich auch einige Leser der Hebebühne einmal wieder in ihr Stadttheater begeben sollten, dann wäre ich mehr als froh darüber. Im übrigen gibt es auch prima Theaterkantinen, wie zum Beispiel am BE, im Gorki Theater, oder im Akademietheater in Wien. Die beste Weinkarte hat aktuell allerdings das Schauspielhaus in Hamburg, selbst Weine von den Golan Höhen werden dort offen ausgeschenkt.

In diesem Sinne zum Wohl und bleiben Sie uns, wie bisher, gewogen!


Kommentare

  1. Feiner Text. Ich werd mir 2015 Mühe geben und mal wieder den einen oder anderen Versuch starten :-)

    War ja schon mal anders: Das waren noch Zeiten, als ich extra zu Robert Wilsons "Black Rider" nach Hamburg gefahren bin ...

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen